Die Schreibwerkstatt Pirna und ihre Geschichtenzum Käfer-Thema

Im Vorfeld der Entstehung unseres Themenheftes »Brumm, Käfer, Brumm!« erfuhren wir von der Existenz der Romanwerkstatt Pirna und regten diese an, etwas beizutragen. Deshalb stellt sich einleitend die Romanwerkstatt Pirna vor, anschließend folgen zwei Lesebeispiele, die unser Käfer-Thema streifen.

HF


Die Autoren der Romanwerkstatt Pirna. Foto: Susann Schmolling
Die Autoren der Romanwerkstatt Pirna. Foto: Susann Schmolling

Romane in Schubladen …

„Kreativität ist ein Ventil, das uns in Zeiten von Unsicherheit helfen kann“, sagt Josefine Gottwald. Die Pirnaerin hat in Dresden studiert und wuchs im Müglitztal auf; Autorin ist sie seit 22 Jahren. Auf diesem Weg hat sie nicht nur Romane publiziert, sondern auch Netzwerkarbeit fürs Kulturamt geleistet, Artikel für Magazine geschrieben und gemeinsam mit Ralf Günther eine Drehbuchauszeichnung erhalten. Seit mehreren Jahren bieten sie Mentorings im Programm „Schreibtisch am Meer“ an – Josefine Gottwald ist es ein Bedürfnis, Kreative bei der Findung eines Ausgleichs zu begleiten, und auch auf dem Buchmarkt.

Im Dezember 2024 gründete sie die Romanwerkstatt Pirna. Hier kommen Menschen zusammen, die das berühmte „Buch in der Schublade“ haben: Hauptberufliche Lehrer, eine ehemalige Bibliothekarin, Rentnerinnen und ganz junge Leute, die sich mit historischen Zeiten und fernen Ländern befassen, mit Dystopien, Spionage und Mobbing. „Jeden Menschen treibt ein anderes Thema um“, weiß Josefine Gottwald, „und für jedes Thema kann man die Form optimieren.“ Sie arbeiten viel gemeinsam am Text, entwickeln vielschichtige Charaktere und schärfen Dramaturgie und Stil – Hausaufgaben gibt es auch!

Entstanden ist die Initiative aus dem Schreibfestival „Pirna schreibt“, wo man diesen September auch einen Workshop von Ralf Günther und Josefine Gottwald besuchen kann. Dabei soll es ums Veröffentlichen gehen, denn: „Beim Thema Exposé und Verlagskontakte haben viele Schreibende Berührungsängste. Sie wollen gleichzeitig Publikum und scheuen das Marketing …“ Es bleibt also viel zu lernen.

Die Romanwerkstatt Pirna trifft sich monatlich im Gemeindehaus „Oase“ der LKG Sachsen, alle Termine finden sich auf der Website der Autorin www.josefinegottwald.de


Lesebeispiele der Romanwerkstatt Pirna – passend zum Käfer-Thema des August-Elbhang-Kuriers von Christin Lugyi und Christian Cornelissen

Alle Augen auf mich!

Kennen wir uns? Natürlich kennen wir uns! Ich zumindest Sie. Nur scheinen Sie mich gar nicht zu bemerken. Das sieht Ihnen mal wieder ähnlich. Letzte Woche schon haben Sie mich beinahe zertrampelt. Und nun wieder. Eine echte Frechheit! Sie sind viel zu unbedarft für Ihre Größe. Was kann ich dafür, dass ich so klein erscheine? Man sucht sich nicht aus, aus welchem Ei man schlüpft. Hey! Ich rede mit Ihnen! Rennen Sie doch nicht weg! Ich habe Klärungsbedarf!

Muss ich Ihnen etwa ins Gesicht fliegen, damit Sie mich endlich beachten? Na gut. Sie haben es ja nicht anders gewollt. Huhu! Schauen Sie mal auf meinen Panzer! Glänzt der nicht herrlich smaragdgrün, schwarzblau und kupferrot? Sowas Schönes hätten Sie fast plattgetreten. Ist Ihnen das überhaupt bewusst? Wie würde es Ihnen denn gefallen, wenn ich auf Sie – Huch! Vorsicht mit der Hand! Kein Grund, aggressiv zu werden. Ich möchte nur, dass – nicht auch noch die Andere! Das ist gemein. Hören Sie mir doch zu. Ich verlange nur ein bisschen Res – Aua! Ok, mir reicht´s! So lasse ich mich nicht behandeln! Entkomme ich ein drittes Mal nur knapp ihren Füßen, setzte ich eine Gruppe Stinkkäfer auf Ihre Wohnung an. Kein Scherz. Merken Sie sich das!

Christin Lugyi


Ein Marienkäfer in London

Alles begann auf der Reling des Themsebootes. Hier sonnte sich Marvin in aller Ruhe. Der Wind rauschte ihm durch die aufgestellten Flügel und der Chitinpanzer wurde von der schon recht kräftigen Märzsonne gewärmt. Die Touristen um ihn herum klammerten sich an ihre Kameras und pressten die Auslöser immer wieder hinunter. Marvin kümmerte sich nicht um sie. Er kannte London von oben, die Häuserfluchten, die Köpfe von Steinlöwen, Blätter im Park, Werbetafeln, Zäune und Treppengeländer. Alles Motive, die den bildersüchtigen Touristen entgingen.

Langsam rückte der Big Ben in den Vordergrund. Gleich würde das Schiff anlegen und die Touristen von Bord strömen. Marvin machte sich bereit. Er legte die Flügel aufeinander. Dann drückte er die Beine durch und beugte sich über die Reling. Anschließend ließ er sich einfach fallen.

Die Luftströmung hob ihn auf und trug ihn nach oben. Immer tiefer sank die Themse unter ihn hinab. Auf seiner Höhe bewegten sich bald nur die Möwen, die ihn aber übersahen, denn die Fish and Chips-Tüten der Touris waren wesentlich interessanter als er.

Marvin ließ sich treiben. Der Luftstrom war warm und kuschelig. Er schloss halb die Augen. Es fühlte sich an als wäre er in Watte gepackt. Er driftete hoch und runter, manchmal zur Seite und ganz selten auch in einem weiten Bogen. Hätte Marvin einen Magen wie die Menschen, wäre ihm sicher das Frühstück hochgekommen. Aber das bisschen Nektar, das er heute morgen abgestaubt hatte, belastete ihn überhaupt nicht.

Allmählich näherte sich Marvin dem Ziffernblatt des Big Ben. Groß, dick und schwarz näherten sich die Zeiger und würden ihm viel Platz bieten. Marvin landete und ließ seinen Blick über die Stadt gleiten. Winzige Menschen schoben sich über die Westminster-Brücke. Boote auf der Themse pflügten durch das Wasser, Radfahrer zischten über die Radwege hinweg und Unmengen von Spielzeugautos schnauften durch die Straßenadern. Ein Haselnusspollen schwebte durch die Luft und Marvin beobachtete ihn, bis er hinter dem Glockenturm verschwand.

Danach ließ er sich erneut fallen. Er wurde von der Strömung aufgehoben und driftete über die Stadt. Nicht lange und er wurde über die Downing Street getragen. Vor der Tür saß Larry the cat und putzte sich. Offenbar hatte er vor kurzem einen köstlichen Fang gemacht. Marvin gönnte es ihm.

Als er dicht über der Katze hinwegschwebte, hielt sie im Lecken inne und streckte träge eine Tatze aus in der Hoffnung ihn ohne Anstrengung zu erhaschen. Doch Marvin konnte ihr mit einer eleganten Wendung ausweichen.

Er steuerte die Gärten des Buckingham Palace an, wo jetzt Osterglocken blühten und ein strahlend gelbes Meer bildeten für ihn und seine Insektenfreunde.

Zufrieden ließ sich Marvin auf einer Blüte nieder. Er krabbelte hinein und labte sich am Nektar. Köstlich! Nach diesem Snack stieg er wieder auf und flog hinauf auf eine der Fensterbänke des Palastes. Sie lag in der Sonne und war schön warm unter seinen Füßchen. Also beschloss er hier Pause zu machen. Dieses ganze sich treiben lassen war ganz schön anstrengend.

Er schaute in den Salon hinter dem Fenster. Dort saßen eine weißhaarige Frau in einem grünen Kleid und ein alter Mann mit abstehenden Ohren an einem Tisch und tranken Tee. Die Teetasse klirrte, als sie mit abgespreiztem kleinem Finger auf dem Unterteller abgestellt wurde.

Marvin genoss noch einige Augenblicke die warme Sonne auf der Fensterbank und flog dann los. Er durchzog weiter London, seine Stadt, bis die Sonne unterzugehen begann und er sich in eine gemütliche Ritze zwischen zwei Ziegeln zur Nachtruhe bettete.

„Da war wieder dieser Marienkäfer“, sagte die Frau im grünen Kleid.

„Wer, Darling?“

„Der Marienkäfer. Er hatte sich damals auf meine Schulter gesetzt, als du mich deiner Mutter vorgestellt hast. Und als Kate schwanger war, habe ich ihn über ihren Bauch krabbeln gesehen.“

Er drückte ihre Hand und lächelte. „Nun, er ist ein echter Glücksbringer. Vielleicht wird er uns auch morgen Glück bringen.“

Christian Cornelissen