Dein Warenkorb ist gerade leer!
Zum 80. Geburtstag von Diether Schmidt
In den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts war der Kunsthistoriker Dr. Diether Schmidt der beste Freund des grรถรten Teils der Dresdner Kรผnstler und dies auch weit รผber die Grenzen des Elbtals hinaus.
Seine ebenso einfรผhlsamen wie kรคmpferischen Erรถffnungsreden neben vielen anderen Orten auch im Loschwitzer Leonhardi-Museum haben sich Kรผnstlern und Kunstfreunden ins Gedรคchtnis geprรคgt. Obwohl er den seiner รberzeugung gemรครen Standpunkt einer realistischen Kunst nie vรถllig verlassen hat, machte er sich mit seinem kompromiรlosen Eintreten fรผr die Belange der Kรผnstler und die Freiheit der Kunst im repressiven รถstlichen System nicht nur Freunde.

Foto: Gisela Bartholomay
Diether Schmidt wurde am 29. Juli 1930 in Lubmin bei Greifswald geboren. Als sein Vater als Maurer mit seiner kleinen Baufirma in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, zog die Familie nach Berlin. So lernte er schon frรผhzeitig im โroten Weddingโ vom Vater โzwischen den Zeilen lesenโ und โin den Hals sprechenโ. Nach Kriegsende, Schulabschluร und einem begonnenen Pรคdagogik-Studium gelang es ihm, an der Humboldt-Universitรคt im Ostteil der Stadt zu Beginn der fรผnfziger Jahre mit Kommilitonen wie Werner Schade und Elmar Jansen bei Richard Hamann Kunstgeschichte zu studieren. Nach dem Studium kam er nach Dresden, wo er kurzzeitig Assistent an den Staatlichen Kunstsammlungen war. Nach seiner Promotion 1960 folgte ein Forschungsauftrag des ostdeutschen Ministeriums fรผr Kultur.

Foto: Gisela Bartholomay
Seine erste grรถรere Publikation โFranzรถsische Druckgraphik seit 1871โ erschien 1962 im Dresdner Verlag der Kunst, in dem er fortan auch als Lektor tรคtig war. 1964 und 1965 folgten in der Fundus-Reihe zwei Bรคnde, die Furore machen: Kรผnstlerschriften II (1933 bis 1945) und I (1905 bis 1933) fassen โ auch als Niederschlag seiner Forschungen gesammelt und herausgegeben โ Selbstzeugnisse zahlreicher deutscher Kรผnstler zusammen, deren groรer Teil noch im Jahrzehnt zuvor von der รถstlichen Kulturpolitik als reaktionรคr und dekadent verpรถnt war. 1968 folgt im Berliner Henschel-Verlag der Band โIch war, ich bin, ich werde seinโ, in dem er sich intensiv dem Thema des Selbstbildnisses widmet, und 1972 wiederum im Verlag der Kunst die groรe Fritz-Cremer-Monographie. 1977 publiziert er durch Vermittlung der Mailรคnder Galleria del Levante im Mรผnchner Limes-Verlag eine Monographie รผber Karl Hubbuch und 1980 ist er maรgeblich an der ostdeutschen Ausgabe der Klee-Tagebรผcher 1898-1918 im Weimarer Kiepenheuer-Verlag beteiligt. In dem von Henschel 1981 prachtvoll ausgestatteten Band โOtto Dix im Selbstbildnisโ untersucht Schmidt die zahlreichen Selbstdarstellungen aller Techniken im Werk von Dix von 1909 bis 1968 und vermittelt damit eine wesentliche Ergรคnzung zu Lรถfflers Monographie. Noch nach der Ausbรผrgerung aus der โDDRโ erschien in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin 1984 seine Monographie รผber den Bildhauer Friedrich Press.
Neben seiner Berufung als Kunsthistoriker hatte er maรgeblich Einfluร auf die inhaltliche Gestaltung der Ausstellungsreihe orbis pictus der Dresdner Galerie Comenius, die seine damalige Ehefrau Ulrike Schmidt 1977 als Mitarbeiterin des Kulturbundes gegrรผndet und bis Ostern 1984 geleitet hatte.

Foto: Hans-Volker Mixsa
Die oben erwรคhnten grรถรeren Publikationen wurden umrankt von einer Vielzahl kleinerer in Broschรผren, Katalogen, Faltblรคttern bis zu Aufsรคtzen in Zeitschriften und Tageszeitungen. Und als besondere Kategorie stehen seine zahlreichen Erรถffnungsreden bzw. Ansprachen zu vergleichbaren Gelegenheiten โ gleichzeitig mit dem Denken gefundene druckreife Sprache, sachlich fundiert, kritisch und frei. Wenn es auch im โreal existierenden Sozialismusโ nach wie vor galt, โzwischen den Zeilen zu lesenโ, so wollte er wohl wenigstens nicht mehr โin den Hals sprechenโ. Das war offenbar โstaatsgefรคhrdendโ. Es ist unbekannt, ob die absurde Vokabel โRedeverbotโ heute noch existiert, damals war sie in aller Munde. Dabei ist es gleich, ob aktenkundlich nachweisbar oder auf wohlmeinenden Rat von niederen Funktionรคren in vorauseilendem Gehorsam…. Tatsache war, daร ab 1981 mehrere seiner Auftritte selbst in der begrenzten รffentlichkeit von Kunstausstellungen von offizieller Seite unterbunden wurden. Tatsache war weiterhin, daร er am 2. Januar 1984 gezwungen wurde, eine der Zellen bei der Staatssicherheit auf der Bautzner Straรe zu beziehen, und daร er sechs Wochen spรคter in die sogenannte โBRDโ ausgewiesen wurde. In der heutigen Gedenkstรคtte erinnert daran noch nichts.
Von Eschborn bei Frankfurt aus bewarb er sich fรผr zahlreiche Projekte, konnte aber nirgends wirklich Fuร fassen. 1988 zog er wieder nach Berlin, wo sich inzwischen einige der alten Kรผnstlerfreunde auch aus Dresden versammelt hatten. Doch noch bevor er in Berlin richtig angekommen war, รผberschlugen sich die bekannten Ereignisse.
1990 kam er als Kunsthistoriker an die Hochschule fรผr bildende Kรผnste wieder nach Dresden, wo er 1991 zum Professor berufen und mit dem Amt des Rektors betraut wurde. Daร eine Zeit lokalen gesamtgesellschaftlichen Umbaus auch nach dem totalen Umbau der Hochschule rief, ist verstรคndlich aber wohl auch nicht notwendig sinnvoll. Die รถstlichen Kunstschulen waren รผber Jahrzehnte von der internationalen Entwicklung abgekoppelt, was zahlreiche Nachteile, aber auch einige Vorteile hatte. Nach Zero, Pop und Beuys hatten sich die westlichen Hochschulen โ mit wenigen Ausnahmen โ lรคngst zu Experimental-Labors aller technischen und geistigen Mittel entwickelt, dabei aber mehr oder weniger etwas die Verbindung zu den Wurzeln verloren. Dagegen hatte sich trotz aller ideologischen Verwerfungen im Osten so etwas wie Tradition, Handwerk und tรคtiges Schaffen bewahrt. Diether Schmidt wollte den Charakter dieser Hochschule bewahren, die Wurzeln am Leben erhalten. Das ist mehr oder weniger gescheitert, 1992 gab er das Amt des Rektors auf, 1995 folgte seine Emeritierung.
Seitdem macht er gelegentlich noch Erรถffnungen und Texte fรผr die alten Freunde, wohnt zeitweilig noch in Berlin, vor allem aber im belgischen Flandern. Dort ist er โin den Frieden eingetauchtโ, wie er kรผrzlich bekannte. Herzlichen Glรผckwunsch zum kommenden 80. Geburtstag vom Dresdner Elbhang.
Gunter Ziller