Zum Gedenken an Dr. Magdalene Kemlein aus Blasewitz

Kann Musik heilen und helfen?

Dr. Magdalene Kemlein aus Blasewitz (1930 โ€“ 2024) dachte darรผber nach

Die Musiktherapeutin, Musikpรคdagogin, Chorleiterin und Komponistin โ€“ sie starb am 13. Januar โ€“ erschloss sich und anderen neue Dimensionen

Wenn alljรคhrlich die Dresdner Musikfestspiele mit dem Zuruf: ยปDresden singt und musiziert!ยซ รผber die Bรผhne gehen kรถnnen, ist dies wohl auch dem ยปmusikalischen Kleinklimaยซ zu danken, das in dieser Stadt herrscht. Ein solcher Kristallisationspunkt war รผber Jahrzehnte auch das Blasewitzer Haus des ยปpraktischen Arztes und Geburtshelfersยซ Dr. med. Walter Kemlein (1891-1976) an der KretschmerstraรŸe/Ecke BerggartenstraรŸe.

Magdalene Kemlein in ihren spรคten Berufsjahren. Foto: privat

Hier wuchs gemeinsam mit drei Geschwistern auch Magdalene Kemlein auf, die sich seit frรผher Jugend musikalisch auch in der Blasewitzer Kirchgemeinde als Chorsรคngerin und vielseitige Instrumentalistin engagierte. Das mรผndete in ein mehrjรคhriges Studium an der Musikhochschule Weimar (spรคter Promotion in Berlin), das sie befรคhigte, an der Musikschule Bautzen รผber Jahrzehnte musikpรคdagogische Arbeit zu leisten und dort 1967 auch den inzwischen renommierten sorbisch-deutschen ยปBautzener Mรคdchenkammerchorยซ zu grรผnden, mit dem sie viele Chorreisen im In- und Ausland unternehmen konnte.

Auch nach ihrem Eintritt in den Ruhestand (1995) gilt sie in Bautzen noch immer als ยปSeele des Hausesยซ, eine Wรผrdigung, die vielleicht auch mit dem sprachlich-musikalischen Wohlklang ihres Namens Magdalene Kemlein zu erklรคren ist. Aber noch wahrscheinlicher verdankte sie diese Wรผrdigung ihrer lebenslangen praktischen, theoretischen und methodischen Beschรคftigung mit der Musiktherapie โ€“ und das bereits zu einer Zeit vor der eigentlichen diesbezรผglichen wissenschaftlichen Arbeit in den einschlรคgigen Institutionen. (Am 23. Januar widmete sich eine Sendung des Deutschlandfunks einer ยปMusik fรผr Menschen mit Demenzยซ, die die Lebensqualitรคt von Betroffenen ohne Medikamente verbessern kann.)

Weihnachtliche Hausmusik im Hause Kemlein (Magdalene K. am Flรผgel, Vater K. im Rollstuhl), 1971). Foto: Brigitte Uhrich

Die Inspiration zu musikalischen Praktiken ohne Medikamente dรผrfte Magdalene Kemlein bereits im Doktorhaus ihres Vaters erhalten haben, der als erfolgreicher Kenner sowohl homรถopathischer Einsichten als auch der alternativen Medizin in Dresden (nicht nur in Blasewitz) hohes Ansehen genoss. Jetzt ruhen Beide โ€“ Tochter und Vater โ€“ auf dem historischen Inneren Neustรคdter Friedhof im Familiengrab, das vor etwa 170 Jahren zuerst fรผr einen Vorfahren Magdalenes angelegt wurde: UrurgroรŸvater, Stadtรคltester und Baumeister Paul Simon hatte um 1836 die Erbohrung des ยปArtesischen Brunnensยซ am heutigen Albertplatz veranlasst und geleitet und damit bisher unerreichbares lebensspendendes Wasser aus der Tiefe in die Stadt befรถrdert.

Dieses schรถpferische Kemlein-Traditionspflege zeugt in Verbindung mit der hier angedeuteten Familiengeschichte von Zusammenhรคngen zwischen Stadtkultur, Handwerk, Medizin und Musik โ€“ auch als ein Beitrag zu zeitgemรครŸer Bewusstseinsbildung. โ€“ Auf Wunsch der im Januar verstorbenen Magdalene Kemlein vollzog sich die Trauerfeier am 16. Februar nur im engen Rahmen โ€“ frรผhere Mitglieder des Bautzner Mรคdchenkammerchores sangen am Grabe โ€“ , doch im Zusammenwirken mit der Musikschule Bautzen wird Gelegenheit sein, demnรคchst in grรถรŸerem Kreis zu gedenken und zu erinnern (der EHK ist um rechtzeitige Informationen bemรผht).
Nach ihrem Wegzug (1999) aus dem Blasewitzer Haus wohnte Magdalene Kemlein noch mehrere Jahre am Lahmannring auf dem WeiรŸen Hirsch, den sie aus beruflicher musiktherapeutischer Tรคtigkeit gut kannte.

Spรคter zog sie sich ins evangelische Pflegeheim HegereiterstraรŸe in Bรผhlau zurรผck. Allerdings nahmen dort ihre Bewusstseinskrรคfte zunehmend ab, sodass sie den Beistand ihrer frรผheren WeiรŸer- Hirsch-Pfarrerrin Katrin Wunderwald (jetzt Seniorenseelsorgerin) brauchte. Pfarrerin Wunderwald hielt auch die Trauerpredigt auf dem bereits erwรคhnten Inneren Neustรคdter Friedhof.
(In den EHK-Ausgaben 12-2005/S. 26, 12-2010/S. 24 und 12-2015/S. 18 sind noch weitere, die Persรถnlichkeit wรผrdigende Fakten nachzulesen.)

ยปAutonaheยซ Nachbemerkung

Das Kemleinsche Elternhaus in Blasewitz war beileibe kein Elfenbeiturm. Nachdem Vater Dr. Kemlein den drei Geschwistern von Magdalene noch zu frรผhen DDR-Zeiten ยปerlaubtยซ hatte, das Land zu verlassen, revanchierten sich diese alsbald, dem praktizierenden Arzt fรผr seine Hausbesuche einen gebrauchten VW-Kรคfer zu vermitteln. Das lรถste einige Aufmerksamkeit im Blasewitzer Trabant- und Wartburgrevier aus. Jahre spรคter inspirierte das Tochter Magdalene, sich als eine der Ersten in Blasewitz einen VW-Golf zuzulegen, als die ยปweltoffene DDR-Importpoliktikยซ das ermรถglichte; damit konnte sie besser ihren Aufgaben und Neigungen nachgehen, die sich aus ihrem musikpรคdagogischen und musiktherapeutischen Engagement nicht nur zwischen Dresden und Bautzen ergaben. Mancher Patient oder Schรผler erinnert sich vielleicht noch daran.

Manuskript der Trauerrede

Bestattung Dr. Anna Elisabeth Magdalene Kemlein
16.02.2024, Innerer Neustรคdter Friedhof,
Friedensstr.2, um 10:30 Uhr

Liebe Angehรถrige und Freunde von Dr. Magdalene Kemlein,
Sie war eine ausdrucksstarke Persรถnlichkeit! In Ihrem Auftreten, besonders aber im Hinblick auf ihre Musikalitรคt! Als ich ihr das erste Mal begegnet bin, war da ein Gefuฬˆhl von Ehrfurcht. Das ist eine besondere Frau, spuฬˆrte ich. Sie hat was zu sagen, sie kann was und sie will was. Dabei hatte sie eine ganz zugewandte Art. In meinen Anfangsjahren als Pfarrerin auf dem WeiรŸen Hirsch war Frau Dr. Kemlein immer unterwegs, ganz besonders zu Auftritten mit ihrem Mรคdchenchor in Bautzen. Sie reiste viel, auch zu Vortrรคgen. Wenn sie da war, kam sie gern in den Gottesdienst โ€“ auch spรคter noch, als sie stรคrkere gesundheitlichen Einschrรคnkungen hinnehmen musste. Und sie legte mir ihre beste Freundin, Frau Marianne Teucher ans Herz, die ich doch bitte regelmรครŸig im Pflegheim Buฬˆhlau, wo auch Dr. Kemlein die letzten Jahre lebte, besuchen solle. Die Begegnung mit dieser ebenfalls ausdrucksstarken Persรถnlichkeit, die im hohen Alter von 106 Jahren starb, gehรถrte zu den beeindruckendsten meiner Zeit als Pfarrerin in dieser Gemeinde.

Die Tageslosung fuฬˆr Samstag, den 13.1., an dem Frau Dr. Kemlein im Ruheheim Hegereiterstr. in Buฬˆhlau verstorben ist, aus Psalm 39,6 lautet: ยปSiehe (Gott), meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Ach, wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!ยซ Und der Lehrtext aus dem 2.Korintherbrief 4,16: Paulus schreibt: ยปWir werden nicht muฬˆde; sondern wenn auch unser รคuรŸerer Mensch verfรคllt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.ยซ Es sind schรถne Verse, die zu ihrem Sterbedatum, genannt werden. Verse, die deutlich machen, dass unser Leben hier auf der Erde von Gott geschenktes und begrenztes Leben ist, aber die Ewigkeit auf uns wartet. Und dass, auch wenn wir รคlter werden und unser Leib gebrechlicher wird, wir in unserer Seele wachsen, reifen und verwandelt werden. Es sind Worte, die glรคubige Menschen gesprochen haben. Menschen, die wussten, dass am Ende unseres Lebens etwas GrรถรŸeres auf uns wartet. In diesem GrรถรŸeren ist Frau Dr. Kemlein nun aufgehoben.

Wir wollen gemeinsam auf ihr Leben schauen, auf einige Stationen, die wichtig gewesen sind. Viele von Ihnen, die hier anwesend sind, fallen sicher ganz eigene Geschichten und Begegnungen mit ihr ein und viele werden sich auch mit Hochachtung und groรŸer Dankbarkeit an sie erinnern. Denn sie war eine Gebende, eine, die ihr Leben ganz und gar in den Dienst gestellt hat. In den Dienst fuฬˆr die Musik, in den Dienst an Menschen, lange Zeit an kranken Menschen und in den Dienst ihrer Familie, der sie mit Sicherheit ihrerseits dankbar gewesen ist fuฬˆr die Gaben, die sie geschenkt bekommen hat und die Mรถglichkeiten, die ihr daraus erwachsen sind.
Frau Dr. Anna Elisabeth Magdalene Kemlein, in ihrer Familie liebevoll ยปMaยซ genannt, wurde am 23.12.1930 in Dresden geboren.

Sie wuchs im Stadtteil Blasewitz als juฬˆngstes von 4 Geschwistern auf. Sie hatte zwei Bruฬˆder und eine Schwester. Ihre GroรŸmutter war Bildhauerin (fuฬˆr die damalige Zeit meines Erachtens ungewรถhnlich, denn Kunst wurde in dieser fruฬˆhen Zeit bei Mรคdchen weniger gefรถrdert). Ihr Vater ist Arzt gewesen, ihre Mutter hat in der Praxis des Vaters mitgearbeitet. Die ganze Familie war musikalisch begabt, der Vater spielte Geige, die Mutter war Pianistin, in der Familie gab es regelmรครŸig Hauskonzerte auf hohem Niveau. Heute wuฬˆrde man sagen, die Familie gehรถrte dem Dresdner Bildungsbuฬˆrgertum an. In der KretzschmarstraรŸe in Blasewitz hatten sie eine groรŸe, wunderschรถne Wohnung, in der die Eltern und spรคter auch Magdalene lange gelebt haben, bis sie schlieรŸlich auf den WeiรŸen Hirsch gezogen ist.

1930 – es war die Zeit nach dem 1. und vor dem 2. Weltkrieg. Ihre Eltern waren in beide Kriege involviert, ihre Bruฬˆder mussten in den 2. Weltkrieg ziehen. Es ist fast ein Wunder, dass alle Familienmitglieder die Kriege uฬˆberlebt haben. Magdalenes schlimmstes Erlebnis war 1945, sie war gerade 14 Jahre alt, die Bombardierung Dresdens. Sie hat spรคter erzรคhlt, dass mit diesem Ereignis ihre Kindheit schlagartig zuende gegangen ist. Das vรถllig zerbombte Dresden, die immer wieder unterbrochene Schulausbildung, die Hungerzeit und Kรคlte der unmittelbaren Nachkriegsjahre machten das Leben in Dresden fuฬˆr alle nicht leicht.

Nach dem Krieg gingen ihre drei Geschwister allesamt in den Westen. Magdalene blieb mit ihren Eltern allein in Dresden zuruฬˆck, sie war einfach noch zu jung gewesen, um eigene Wege zu gehen.

So wuchs sie in ihre Rolle als einzige Begleiterin und Versorgerin der Eltern hinein. Ihre Geschwister blieben vom Westen aus eng mit der Familie verbunden, sie kamen viel zu Besuch, schrieben sich viel, versuchten spรคter vom Westen aus der Familie auch finanziell viel Gutes zu tun, trotzdem war sie diejenige, die vor Ort gewesen ist und die Verantwortung trug. Ihre engste Jugendfreundin war Marianne Teucher, die im Streichquartett des Vaters von Magdalene Bratschistin gewesen ist. Sie, die spรคter Bibliothekarin geworden ist und sich von 1966 bis 1981 der Pflege des Dresdener Notenbestands gewidmet hat, wirkte lange Zeit als Musiklehrerin
und Orchestermusikerin. Sie war auch eine Frau, die in ihrem Leben allein geblieben ist und so verband Beide eine lebenslange, ununterbrochene Freundschaft bis zum Tod von Marianne Teucher im Jahr 2009.
In meiner Trauerrede fuฬˆr Frau Teucher fand ich die Anmerkung, dass beide Frauen ein Konzertanrecht hatten, dass sie oft gemeinsame Ausfluฬˆge gemacht und uฬˆber Literatur gesprochen haben. Und dass ihre Bibliothek im Pflegeheim u.a. von Frau Dr. Kemlein stรคndig um neue Buฬˆcher ergรคnzt wurde.

Diese feinsinnige, offene und freundliche Frau, die intensiv war und sich zugleich in ihrer Person immer zuruฬˆcknahm, war mit Sicherheit eine groรŸartige Begleiterin fuฬˆr Frau Dr. Kemlein gewesen und umgekehrt. Und da sie um einiges รคlter gewesen ist, vielleicht auch so etwas wie eine Lehrerin oder ein Vorbild fuฬˆr sie.

Frau Dr. Kemlein begann nach ihrer Schulausbildung 1949 an der Musikhochschule Weimar Schulmusik mit Schwerpunkt Klavier zu studieren. Dvorcร ks Urenkelin Juliane Lerche war eine ihrer Klavierprofessorinnen. Ihrem Staatsexamen schloss sich 1953 bis 1956 eine Aspirantur an den Universitรคten in Halle und Berlin an.

Sie promoviert 1957 zur Musikpรคdagogin. Bereits wรคhrend ihres Studiums in Weimar unterrichtete sie ihre Mitstudenten in Liedspiel, Rhythmik und Improvisation. 1958 geht sie an die Musikschule nach Bautzen, wo sie schlieรŸlich stellvertretende Direktorin wird. Sie blieb ยปstellvertretendยซ, denn sie wurde kein Parteimitglied. Sie blieb auch zeitlebens nur Doktorin, wurde keine Professorin, denn sie war kirchlich gebunden. Sie war eine sich kirchlich Bekennende – nicht leicht zu DDR-Zeiten. Aber aufgrund ihrer auรŸergewรถhnlichen Begabung schaffte sie es so weit, wie man es in dieser Zeit schaffen konnte. 1967 bekam sie ihr Diplom fuฬˆr Klavierpรคdagogik in Dresden. Bis 1991 wirkte sie in Bautzen hauptberuflich, dort galt sie als ยปSeele des Hausesยซ – eine wunderbare Beschreibung dessen, wer und was sie gewesen ist.

Neben ihrer Lehrtรคtigkeit baute sie einen Mรคdchenkammerchor auf, der spรคter im In- und Ausland Konzerte gab und den sie auch nach ihrem Ruhestand bis 1998 weiterfuฬˆhrte. 1987 wird sie zur Studienrรคtin ernannt, das รคuรŸerste, was der Staat bereit war, ihr zuzugestehen. Fuฬˆr sie war es zu dieser Zeit nicht mehr wichtig. Seit 1958 begann sie mit Chefarzt Dr. Helmut Born in Oberloschwitz, spรคter auf dem WeiรŸen Hirsch Gruppenmusiktherapie fuฬˆr psychisch kranke Menschen ins Leben zu rufen. Sie baute diesen Bereich aktiv auf und wirkte bis 2001 mit. Sie wurde Ehrenvorsitzende der Deutschen Musiktherapeutischen Vereinigung Ost. Einmal sagte sie uฬˆber die Musiktherapie: ยปVon der Musiktherapie gehen gleichstarke Strรถme in kรถrperliche wie seelische Bereiche.ยซ Sie sprach dieser Therapie eine groรŸe Heilkraft zu und legte besonderen Wert auf Atmung und Bewegung. In der Musiktherapie fuฬˆhrte sie ihre Erfahrungen aus ihrem Elternhaus, einem musikalischen Arzthaushalt, zusammen. Spรคter arbeitete sie auch mit MSKranken und Sprechgestรถrten. Dr. Kemlein hielt Vortrรคge und Seminare, war spรคter auch im Westen Deutschlands verehrt, wenn sie auf Kongressen sprach. Sie hatte viele รถffentliche Auftritte.

So gab sie in Dresden mit Instrumentalisten der Staatskapelle und Philharmonie und dem Philharmonischen Kinderchor Kammerkonzerte, u.a. mit Ilse Ludwig. Und sie produzierte Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen. Besonders bekannt sind ihre Arrangements von Volks- und Kinderliedern, auch von sorbischem Liedgut. Sie wirkte an 22 Inszenierungen des Deutsch-Sorbischen Musiktheaters mit, bis das Musiktheater nach Gรถrlitz zog. Klaviersรคtze im groรŸen Volksliederbuch des Peters Verlag, sowie die Hefte ยปTaubnesselchenยซ und ยปGruฬˆner Haselstrauchยซ sind bekannt. Als Herausgeberin der Liedsammlung Taubennesselchen hat sie 20 Kinderlieder fuฬˆr Kinderchor und Klavier bearbeitet. Auch eine Schallplatte ยปAll meine Gedanken, die ich habยซ von 1972 mit Volksliedern aus sieben Jahrhunderten stammt von ihr. Ihr Traum, dass das Volkslied nach der Wende zuruฬˆckkommt ins Bewusstsein der Menschen, erfuฬˆllte sich jedoch nicht.

Dr. Kemlein konnte alles spielen, sagten Sie als Familie. Wenn Sie ihr ein Volkslied gaben, improvisierte sie jede Strophe anders. Es war Musik auf hรถchstem Niveau. Sie hatte nicht nur eine uฬˆberaus feine und geistvolle Liebe zur Musik, sie konnte sie auch vermitteln. Kinder, die wollten, konnten von ihr lernen ohne Ende.

Sie war fuฬˆr viele ein Vorbild, sie hat zahlreiche Menschen zum Musikstudium gefuฬˆhrt, unter ihrer Leitung wurden viele Berufsmusiker. Ihre musikdidaktische Herangehensweise an Liedgut prรคgte nachfolgende Lehrergenerationen. Schรถn war, dass sie die Gabe hatte, Kinder in ihrer Persรถnlichkeit ernst zu nehmen, sie hatte Achtung vor ihnen und wurde dabei selbst geachtet.

Frau Dr. Kemlein blieb ihr Leben lang allein und unverheiratet. Das war sicher nicht immer leicht, vielleicht auch ein Stuฬˆck weit der Nachkriegszeit geschuldet. Lange Zeit lebte sie mit ihren Eltern und sie pflegte sie spรคter aufopferungsvoll, nachdem Beide Schlaganfรคlle erlitten hatten und bettlรคgerisch waren. Damit uฬˆbernahm sie auch fuฬˆr ihre Familie einen groรŸen Dienst. Sie galt, wie Sie erzรคhlten, in der Familie als Institution. Sie schrieb viele Briefe, erhielt viele Briefe und die Geschwister besuchten sie oft im Osten. Lange prรคgte sie auch die Freundschaft zu Brigitte Uhrig, die als Pflegekraft im Haushalt der Eltern mitgeholfen hat und die spรคter dann eine Ausbildung zur Krankenschwester machte und heiratete. Nach der Wende ist Dr. Kemlein gern gereist, sowohl mit Frau Uhrig und ihrem Mann, als auch Freunden aus Weimar. Reisen gingen nach Italien und Griechenland – die Antike interessierte sie -, aber auch Frankreich und Norwegen. Sie hat sich gern mit Kunst beschรคftigt, nicht zuletzt weil ihre GroรŸmutter Bildhauerin gewesen ist. Sie hat Kontakte zu Kuฬˆnstlern gehabt und selbst moderne Kunst gekauft. Und – wie bereits erwรคhnt – war ihr auch ihr Glaube wichtig gewesen, sie hat sich immer auch mit anspruchsvoller Theologie beschรคftigt. Die letzten Jahre, in der sie kรถrperlich Unterstuฬˆtzung benรถtigte, verbrachte sie im Ruheheim in der Hegereiterstr. in Buฬˆhlau, ganz in der Nรคhe ihrer einstigen Wirkungsstรคtte auf dem WeiรŸen Hirsch. Dort ist sie schlieรŸlich, wie Sie erzรคhlten ยปmit offenen Hรคndenยซ im Beisein einer ihrer Schuฬˆlerinnen gestorben, die sie Samstags Vormittags oft besucht hat.

Dr. Magdalene Kemlein bleibt als ausdrucksstarke, kritische, aber auch durchgeistigte Persรถnlichkeit in Erinnerung. Eins ihrer Lieblingslieder war das Lied: ยปAbend wird es wiederยซ. Lassen sie mich zum Abschluss den Text dieses deutschen Volksliedes von August Heinrich Hoffman von Fallersleben und einer Melodie von Johann Christian Heinrich Rinck lesen. Die Abendruh, von dem der Text am Ende spricht, sei ihr nun bei Gott in seiner Ewigkeit gegeben:

Abend wird es wieder

Abend wird es wieder:
uฬˆber Wald und Feld
sรคuselt Frieden nieder,
und es ruht die Welt.
Nur der Bach ergieรŸet
sich am Felsen dort,
und er braust und flieรŸet
immer, immer fort.
Und kein Abend bringet
Frieden ihm und Ruh,
keine Glocke klinget
ihm ein Rastlied zu.
So in deinem Streben
bist, mein Herz, auch du:
Gott nur kann dir geben
wahre Abendruh.

Pfarrerin Katrin Wunderwald
Telefon im Universitรคtsklinikum: 0351 458-4229
E-Mail: katrin.wunderwald[at]uniklinikum-dresden.de