Ein Dirigentenleben

Zitate aus dem Erinnerungsband โ€žJOSEPH KEILBERTHโ€œ

Im Anschluss an die โ€žKeilberth-Erinnerungโ€œ zum 100. Geburtstag des Meister (Elbhang-Kurier 4/2008, S. 20) zitieren wir aus dem vom Sohn Thomas K. geschriebenen Lebensbericht (freundlicherweise zur Verfรผgung gestellt von Herrn Horst Milde). Die Auszรผge erlauben allerdings nur einen sporadischen Einblick in โ€žein Dirigentenleben im 20. Jahrhundertโ€œ. (Die Wiedergabe folgt der Typografie der Buchausgabe)

Eingeleitet wird die Zusammenstellung mit zwei hintergrรผndigen Zitaten aus Keilberths Prager Zeit (1940 โ€“ 1945).

Dietrich Buschbeck

Prof. Joseph Keilberth Foto: Deutsche Fotothek of the Saxon State Library (SLUB), CC-by-SA, Wikimedia Commons
Prof. Joseph Keilberth
Foto: Deutsche Fotothek of the Saxon State Library (SLUB), CC-by-SA, Wikimedia Commons

Am 27. Mai 1942 ereignete sich das Attentat auf Reinhard Heydrich, an dessen Folgen dieser am 4. Juni verstarb. Unter dem Eindruck dieses Anschlags dirigierte Keilberth am 28. eine Serenade im Waldsteinpalais. Das Programm bestand aus dem Orchesterquartett op. 4 von K. Stamitz, der Serenade op. 16 von J. Brahms und der Bรผrger als Edelmann-Suite von R. Strauss.

Der Maestro notierte: โ€žBeglรผckender Abend, sehr schรถn musiziert worden, im Ausnahmezustand (Attentat auf Heydrich).โ€œ Am ersten Junitag wurde die Orchesterbearbeitung von J. S. Bachs Kunst der Fuge von Wolfgang Grรคser im Rudolfinum zu Gehรถr gebracht. (โ€ฆ)

โ€žLetzte Probe am 5.5.1945 vormittags (Smetana Blanรญk, Reger Mozart Var[iationen]). Am 5. nachmittags Revolution in Prag. Haussuchung. 7. verhaftet worden, aber wieder freigelassen. Am 9. nachmittags 15 Uhr von 2 R. G. [Revolucny Garda] Schergen innerhalb 10 Minuten aus der Wohnung gewiesen worden. Dann unter schwersten Misshandlungen auch meiner Frau durch die Schweden- u[nd] HolecekstraรŸe in ein Lager (โ€ฆ) eingeliefert worden. Ab 13. Zwangsarbeit (StraรŸen gepflastert, Leichen verscharrt, Ziegelsteine sortiert etc.). Am 30.5. wieder unter den Antreibern etwa zu 800 (โ€ฆ) auf das Stadion getrieben worden. Dort zwei Tage unter entsetzlichen Verhรคltnissen (โ€ฆ) kampiert, dazu (Sohn) Thomas krank geworden. Am 2. Juni Marsch vom Stadion รผber Dewitz, Bubenec-Holeschowitz (etwa 12 km), immer Thomas auf den Armen, (โ€ฆ) auf Holeschowitzer Bahnhof. Dort unter dauernden Durchsuchungen eine Nacht stehen geblieben. Am 3.6. Frรผh Abfahrt aus Prag โ€“ ohne umzusehen. Nach zweitรคgigen Aufenthalt auf dem Bahnhof Bรถhmeck (Pomokly), in Bodenbach freigelassen. Trotzdem nochmals im Bahnhof verhaftet worden und erst nach Verhรถr (โ€ฆ) wieder freigekommen Am 7. in Pirna eingetroffen. Am 10. 6. erster Besuch in Dresden โ€ฆ Am 13. nach Dresden รผbersiedelt โ€ฆโ€œ Und dann schrieb er noch groรŸ in der Hรถhe von zwei Kรคstchen und, wie um seiner Aussage eine besondere Bedeutung zu verleihen: โ€žFinis Praha, Finis Bohemia!โ€œ

โ€žAnfang Juni 1945 kamen wir in der sรคchsischen Kleinstadt Pirna an. Wir hatten buchstรคblich nur noch das, was wir am Leibe trugen, und ich dachte, daรŸ ich nun mein Leben als Arbeiter oder sonst irgend etwas fristen mรผรŸte, denn ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass ich wieder Musik machen kรถnnte. (โ€ฆ) Und so sind wir tatsรคchlich eines Tages nach Dresden gefahren. Diese Reise war nur per Schiff mรถglich, die Bahn war zerstรถrt. Wir erfuhren von einer Bekannten, dass am Nachmittag ein Bunter Abend Dresdner Kรผnstler auf dem WeiรŸen Hirsch stattfinden sollte. Wir sind also hingegangen, und dort traf ich Kollegen, die ich von meinen Spanien-Gastspielen kannte, und es gab ein herzliches und ergreifendes Wiedersehen. Und man sagte mir: ,Auf Sie warten wir gerade. Die Dresdner Kapelle wird zurรผckgeholt.โ€˜โ€œ

Es war der 10. Juni 1945. Keilberth begab sich am nรคchsten Tag zur sowjetischen Militรคradministration und den von ihr eingesetzten deutschen Behรถrden. Dort war seine Ankunft zu seiner Verwunderung bereits bekannt. Man trug ihr auf, sobald wie mรถglich das Dresdner Musikleben wieder in Gang zu setzen. (โ€ฆ) Jegliche Hilfe wurde ihm zugesprochen. Er รคuรŸerte jedoch Bedenken wegen seiner Position in Prag und seiner Parteizugehรถrigkeit. Sie wurden aber, wie er erzรคhlte, โ€žin den Wind geschlagen.โ€œ Besonders Hermann Matern, damals 1. Sekretรคr der KP in Sachsen, setzte sich fรผr ihn ein.

Der Maestro fand eine Unterkunft auf dem WeiรŸen Hirsch, Frau und Kind konnten bei der Altistin Petra Boser am anderen Ende der Stadt untergebracht werden. Fรผr den 22. Mรคrz 1947 war in Bรผhlau ein โ€žFestkonzert (1 Jahr Kultur-Bund)โ€œ angesetzt. Es wurde gefeiert mit S. Prokofjeff, Cl. Debussy, und der VII. Symphonie von L. v. Beethoven. Die Notiz: โ€žSehr gute VII. Mit Demonstrationen gegen Prof. Klemperer;โ€œ natรผrlich nicht gegen den Kollegen Otto, sondern gegen seinen Vetter Victor, den Historiker und Sprachwissenschaftler, der 1945 in die KPD eingetreten war und sich in Dresden sehr eifrig auf dem Sektor der Kulturpolitik betรคtigte.

Am nรคchsten Tag 14. April 1947 griff wieder einmal das Regime nach Orchester und Chef. Im Hygiene-Museum erklang ein โ€žKonzert fรผr SED.โ€œ Auf dem Programm standen M. Mussorgskys Nacht auf dem kahlen Berge und die V. Symphonie von L. v. Beethoven. Als Festredner agierte Victor Klemperer. Der GMD merkte an: โ€žSehr gelungene V. Mit sehr prรคzisen Streicheranfรคngen. Mussorgsky gutes Stรผck. Klemperer salbadert fast eine Stundeโ€ฆ Schrecklich.โ€œ (โ€ฆ)

Tags darauf wurde mit Figaro in Freital gastiert. (โ€ฆ) Keilberth trug ein: โ€žSehr lockere Auff[รผhrung]. Einige Patzer (Goltz, Schellenberg).โ€œ Am 17. April gab es in der Tonhalle vormittags eine Feier zur โ€žErรถffnung der Kunsthochschulen.โ€œ

Trotz vรคterlicher Depressionen gingen wir noch vor dem Fest (Weihnachten 1947) zum Friseur Karl Degenhardt, der am hinteren Ende des Kรถrnerplatzes seine Kรผnste zu entwickeln begonnen hatte und spรคter in Dรผsseldorf noch groรŸe Karriere machen sollte. Unter der strengen Aufsicht von Frau Ingeborg, dass ihre Mรคnner ja nicht zu viele Haare lieรŸen, wurden wir fรผr die Feiertage hergerichtet. Am Vormittag des Heiligenabends machte der Vater mit mir (Sohn Thomas) einen ausfรผhrlichen Spaziergang, damit das Christkind zu Hause umso ungestรถrter walten konnte. Wir gingen hinunter zum Kรถrnerplatz und dann weiter zur Schwebebahn und fuhren mit ihr nach Oberloschwitz. Da der Vater wusste, dass mir diese Fahrt besondere Freude machte, fuhren wir noch zweimal auf und ab, nachdem wir einen Rundweg gelaufen waren. Fรผr Weihnachten war es wieder gelungen, einen Puter zu beschaffen โ€“ keine Essensprobleme zu haben, galt fรผr die Erwachsenen noch immer als der herrlichste Moment im Familienalltag. (โ€ฆ)

Nach dieser Ausschweifung ins Familiรคre nun zum Figaro am ersten Weihnachtfeiertag, wie immer in der Tonhalle. (โ€ฆ) Am 24. Mai 1950 gab es die 7. Antigonae, zu der Keilberth feststellte: โ€žGlรคnzende Auff[รผhrung]. Demonstrationserfolg.โ€œ Das ist so zu verstehen, dass das Ost-Regime inzwischen diese eine Diktatur anprangernde und Menschlichkeit fordernde Werk nicht mehr auf dem Spielplan wรผnschte und nach diesem Abend seine Absetzung verfรผgte.

Im Juni 1950 weilte Keilberth einige Tage dienstlich in Bonn. Dort harrte er dann der Flucht seiner Familie. Am 18. Juni 1950 war es so weit: Mutter, Kind und Kindermรคdchen setzten sich in Dresden in den Zug nach Berlin, ohne jegliches Gepรคck. Dort erwartete sie Hildegard Buchwald mit dem Dienstwagen der Staatsoper. Frau Buchwald setzte sich neben den Fahrer. (โ€ฆ) Am Brandenburger Tor stoppte sie der Wachposten. โ€žStaatsoperโ€œ sagte Frau Buchwald. Der Posten kannte das wohl und gab die Weiterfahrt frei, ohne in der brรผtenden Hitze eine Kontrolle vorzunehmenโ€ฆ

Erst am Flughafen Tempelhof erfuhr ich (Thomas K.), daรŸ wir gar nicht in Berlin bleiben wรผrden. Mit Schrecken wurde mir bewusst, dass dies ein endgรผltiger Abschied von Dresden bedeutete.

Joseph Keilberth aus der Sicht Theo Adams:

(โ€ฆ) Ich hatte als Anfรคnger 1949 (ein solches) Glรผck, als ich von Joseph Keilberth an die Dresdner Staatsoper engagiert wurde. Dieser war damals, wie heute noch in der Erinnerung, in Dresden sehr beliebt. (โ€ฆ) Obwohl ich erst 23 Jahre alt war, verhalf er mir zu meinem ersten richtigen Operndebรผt in einer Fachpartie: Fรผr Weihnachten 1949 war in Dresden die Premiere des โ€žFreischรผtzโ€œ vorgesehen. Obwohl ich im Stรผck nicht besetzt war, drรผckte ich mich stรคndig auf der Probe herum (was ich heute von Anfรคngern in unserem Sรคngerberuf leider nur sehr selten sehe!!). in einer Probenpause improvisierte Keilberth einige Kadenzen auf dem Klavier. (โ€ฆ) Die Sรคnger und ich Neuling standen daneben und hรถrten zu. Plรถtzlich schlug er die feierlichen Eremiten-Akkorde aus dem 3. Akt โ€žFreischรผtzโ€œ an, zeigte auf mich und sprach in seinem leicht bรถhmischen Dialekt: โ€žKennen Sie des?โ€œ Ich spรผrte eine Rรถtung meiner Ohren und sagte schnell: โ€žJa, natรผrlich,โ€œ was wohl ein bisschen รผbertrieben war.

Da sprach er leise vor sich hin: โ€žDann singenโ€™s des morgen mal in der Orchesterprobe!โ€œ (โ€ฆ) So sang ich am 1. Weihnachtsfeiertag unter der fรผrsorglichen Leitung eines groรŸen Dirigenten, bei dem ich wenige Monate vorher in kleinen Rollen (โ€ฆ) debรผtierte, zum ersten Male in meinem Sรคngerleben den Eremiten im โ€žFreischรผtz.โ€œ Sein Vertrauen in mich war mir das schรถnste Weihnachtsgeschenk!

Was ich schon damals als Anfรคnger spรผrte: Hier fรผhrt dich einer und lรคsst dich trotzdem singen und gestalten. (โ€ฆ) Er gehรถrt zu jenen groรŸen Persรถnlichkeiten, die auch meinen Weg als Kรผnstler prรคgten. Wenn sein Sohn Thomas in vielen seiner Vorstellungen saรŸ, fragten wir uns bis heute oft in wehmรผtiger Erinnerung: โ€žOb das dem Vater wohl gefallen hรคtte?โ€œ