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Leserbrief zum Tod von Ingrid Wenzkat
Marginalien zu Ingrid Wenzkatโ ย von Bernd Lepsy

Foto: Antje Lepsy
Die Nachricht vom Tode der Kunsthistorikerin Ingrid Wenzkat veranlasst mich zu diesen Anmerkungen: Ich werde sie in zweierlei Hinsicht in bleibender Erinnerung undย โ wenn ich mir das erlauben darf โ auch in meinem Herzen bewahren.
Erstens hatte ich das groรe Glรผck, sie als Lehrerin fรผr Kunsterziehung in der damaligen Erweiterten Oberschule Dresden-Reick zu erleben. Zum Schuleintritt 1958 war sie 25, nur knapp elf Jahre รคlter als wir Pennรคler. Ich sehe ยปSchuffiยซ, abgeleitet von ihrem Mรคdchennamen Schuffenhauer, noch lรคssig mit รผbereinander geschlagenen Beinen auf einer der ersten Bรคnke in ihrer Lieblingspose sitzen, was aus unserer Sicht natรผrlich die Proportionen ihrer Beine unterstrich. Der รคsthetischen Erziehung hat das keinen Abbruch getan, es hat sie vielmehr eher gefรถrdert.
Ich kann mich noch an eine heftige Diskussion mit ยปSchuffiยซ erinnern, bei der es um ein Plakat ging, das wir im Unterricht zu einer Theaterauffรผhrung in Dresden zu gestalten hatten. Ich hatte mich fรผr das Volksstรผck ยปNebeneinanderยซ von Georg Kaiser entschieden. Kรผhn und kreativ, so wie sie uns das in jeder Kunststunde vorlebte, setzte ich neben einen weiblichen Halbakt einen zerlumpten Mann mit einer Krรผcke unter der Achselhรถhle, das alles auf Format DIN A3. Meine erhaltene Note 2 statt der erhofften 1 empรถrte mich maรlos, doch ยปSchuffiยซ begrรผndete sie damit, dass es 1923, dem Entstehungsjahr des Dramas, zwar Prostitution und Verelendung gab, ihr der inhaltliche Bezug zum Theaterstรผck aber zu allgemein war.
Unsere Kunsterziehungslehrerin war damals neben der Musiklehrerin, Frau Mann, und unserem Deutschlehrer, Dr. Gรผnter Klieme, offenbar mitverantwortlich dafรผr, dass unser Mathe-Lehrer hin und wieder รผber eine ยปmusisch verbildete Klasseยซ stรถhnte. Auslรถsende Momente waren unter anderem solche Veranstaltungen wie die Auffรผhrung der Schuloper ยปDie Werberbandeยซ von Alan Bush oder die Auffรผhrung von Szenen aus ยปFaust 1ยซ. Im Nachhinein betrachtet, hatte der geplagte Mathe-Lehrer Recht, denn aus unserer Klasse gingen unter anderem die Schauspielerin Renate Blume, der Kunstwissenschaftler Dr. Fritz Jacobi, der Komponist Prof. Wilfried Krรคtzschmar oder der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Volker Riedel hervor.
Zweitens durfte ich nach meinem Studium mit der Kulturredakteurin Ingrid Wenzkat bei der Dresdner ยปUnionยซ zusammenarbeiten; ausgelรถst durch ein Gesprรคch mit meinem ehemaligen Klassenleiter Dr. Klieme am Rande einer Dichterlesung im Jahre 1975. Er beklagte dabei bitter, dass die ยปUnionerยซ stรคndig an seinen abgegebenen Manuskripten ยปherumschnipseltenยซ, was er, als Meister des geschliffenen Wortes, nicht ausstehen konnte. Er war der Meinung, dass ich ab sofort seinen Part รผbernehmen und Beitrรคge zu anstehenden Gedenktagen von Dichtern und anderen Persรถnlichkeiten verfassen solle. Der nรคchste Termin, der 400. Todestag von Hans Sachs, war eine Vergatterung: Der brave Schรผler von einst folgte seinem Meister. Der Gedenkartikel รผber Hans Sachs รถffnete mir damals die Tรผr in eine Welt, der ich noch heute als Autor treu geblieben bin.
Wenn Ingrid Wenzkat Bedarf an Texten zu ganz bestimmten Themen hatte, meldete sie sich bei mir oder ich bot ihr Beitrรคge zu populรคrwissenschaftlichen Themen fรผr die Wochenendbeilagen der ยปUnionยซ an. Ganzseitige Beitrรคge wie ยปHohe Gebรคude im Wandel der Jahrtausendeยซ oder ยปProbate Mittel gegen die Fliegenplageยซ waren genauso dabei wie Betrachtungen zum Thema ยปWas ist Glรผckยซ.
Ich erinnere mich an eine Episode von 1982. Als eine Seite zum Weltumwelttag verรถffentlicht werden sollte, lieferte ich damals ein Feuilleton mit dem unverdรคchtigen Titel ยปMonolog eines Storchesยซ. Besagter Storch flog also รผber die lรคndliche DDR, erst รผber einen kleinen Teich auf Loschwitzer Gemarkung, den er um einige Goldfische รคrmer machte. Dann folgte ein Abstecher nach Mecklenburg. Dort beobachtete der Storch einen Agrarflieger, der irgendwelche Wildwuchsvernichtungsmittel รผber den weitlรคufigen Feldern versprรผhte und seine Dรผsen auch dann nicht abschaltete, wenn er รผber das Anwesen eines Bauern flog.ย Der Landwirt, der um seine Erdbeeren und Tomaten im Garten bangte, reckte daraufhin seinen Arm in die Hรถhe, ballte die Hand zur Faust und drohte dem Piloten heftig. Einem sozialistischen Agrarflieger โ mit den besten Absichten fรผr die Bevรถlkerung im Gepรคck โ zu drohen, das ging wohl gar nicht zu jener Zeit. Die Folge: Das Manuskript schlummerte ein Jahr lang in der Schublade, bis Ingrid Wenzkat einen gรผnstigen Zeitpunkt im Folgejahr zur Verรถffentlichung nutzte.
Meiner ehemaligen Kunsterziehungslehrerin und bis 1985 fordernde und fรถrdernde ยปVorgesetzteยซ in der ยปUnionยซ begegnete ich zum letzten Mal wรคhrend einer Vernissage im Stadtmuseum Dresden im Juni 2016. Sie fiel mir in der Menschenmenge wegen ihrer zierlichen Gestalt auf. Ihre Grรถรe, was Weisheit, Kollegialitรคt, Empathie und Liebenswรผrdigkeit angeht, bleibt mir allgegenwรคrtig.
Bernd Lepsyย
(von 1971 bis 1983 Lehrer in Loschwitz und Bรผhlau, jetzt Journalist i. R. in Baden-Wรผrttemberg)