Pfarrer Selunka beendet seinen Dienst in Loschwitz

Ein ehemaliger Kommilitone, Amtskollege und langjรคhriger Freund erinnert sich

Gottesdienst mit Konfirmanden und Taufe im Mรคrz 2010. Foto:โ€ˆJohannes Dose
Gottesdienst mit Konfirmanden und Taufe im Mรคrz 2010.
Foto:โ€ˆJohannes Dose

Ein lesenswertes Bรผchlein fรผr unterschiedliche Notwendigkeiten und Anlรคsse: das Pfarrerverzeichnis der Ev. โ€“Luth. Landeskirche Sachsens,. Sucht man beim Abschnitt DrM, was den Kirchenbezirk Dresden Mitte meint, die Kirchgemeinde Loschwitz auf, stรถรŸt man unter: I. Pfarrer Selunka, Dietmar, und daneben seine Adresse, eine Telefonnummer usw.

Ein Punkt โ€žII.โ€œ oder gar โ€žIII.โ€œ, โ€“ Platz fรผr weitere in der Gemeinde amtierende Pfarrer โ€“ gibt es nicht. Weiter hinten, auf rรถtlich eingefรคrbten Blรคttern, ist noch ein โ€žPersonenverzeichnis mit Dienstortenโ€œ angefรผgt. Nun alphabetisch geordnet, findet sich der Gesuchte zwischen den Pfarrern Seltmann und Seyfried und es kรถnnte รผberraschen, dass auch dort nur eine, nun aber Jahres-Zahl steht: โ€ž1981โ€œ. Bei vielen Pfarrerinnen und Pfarrern kann man eine mehr oder weniger lange Reihe von Dienstorten studieren, einige von ihnen kommen auf ansehnliche sechs Eintragungen.

Die Jahreszahl bedeutet, dass Pfarrer Selunka 1981 in der Loschwitzer Gemeinde seine Tรคtigkeit aufgenommen hat und dieser Dienstort der erste und einzige geblieben ist. Nur wenige Pfarrer weisen solche โ€žรœbersichtlichkeitโ€œ auf. Das Landeskirche sieht es nicht so gern, dass ein Pfarrer seine gesamte Dienstzeit nur an einem Ort verweilt. Deswegen ist es vorgesehen, dass nach zehn, zwรถlf Jahren der zustรคndige Superintendent immer mal wieder mit dem Betreffenden spricht, um ihn zu einem Ortswechsel zu bewegen. Was ja auch durchaus seinen guten Sinn hat, kann doch ein Wechsel sowohl dem Pfarrer als auch der Gemeinde einen belebenden Impuls, einen neuen Schub vermitteln.

Pfarrer Selunka indessen blieb dreiรŸig Jahre in Loschwitz, รผber seine gesamte Dienstzeit hinweg. Das spricht dafรผr, dass Gemeinde und Pfarrer in besonderer Weise verbunden waren und miteinander harmonierten. Beide Seiten mรผssen sich offensichtlich darin einig gewesen sein, an dieser Verbindung nichts zu รคndern und den amtlichen Anfragen zu widerstehen oder sie, wenn es nicht anders geht, โ€žauszusitzenโ€œ.
Dies sagt etwas aus รผber die Beliebtheit von Dietmar Selunka, รผber die in den dreiรŸig langen Jahren gewachsene Verwurzelung in seiner Kirchgemeinde und am Loschwitzer Elbhang, รผber vielschichtige und zahllose Kontakte mit den Menschen dieser Landschaft.

An den Kirchenbau soll nur beilรคufig erinnert werden, obwohl er sicherlich ein Hรถhepunk seiner Dienstzeit war. Allein wรคre das nie zu schaffen gewesen. Es ist dem gemeinsamen Wirken von Pfarrer, Kirchenvorstand und vielen, vielen Gemeindegliedern und Elbhangbewohnern zu danken, dass 1994 die Kirche geweiht werden konnte. Die auf dieses Ziel gerichteten Anstrengungen und Bemรผhungen haben auch viele Menschen zusammengefรผhrt, vernetzt und in Beziehung gebracht, die ohne ein derartiges Unternehmen kaum den Weg zur Kirche gefunden hรคtten.

Dann aber stand sie, wurde neues Gemeindezentrum, mit geistlichem, musikalischem Leben erfรผllt. Es ist kein Wunder, dass man als Pfarrer gern an einem solchen Ort bleibt, in dem sich ein derartiges Wunder ereignete. Eine andere โ€žEigenartโ€œ von Pfarrer Selunka ist sein geistiger Horizont, fernab aller dogmatischen Enge und Begrenztheit. Seine Predigten kreisten oft darum, wie christlicher Glaube und europรคische Kultur miteinander in Beziehung stehen und waren erfรผllt von spiritueller Lebendigkeit, liturgischer Wรผrde und geschichtlichen Reminiszenzen.

Er war nie ein Mann der scharfen Worte, der Polarisation, unter Konflikten litt er. Vermittelnd und auf Ausgleich bedacht, versuchte er stets, widerstreitende Krรคfte in ein Zusammenspiel zu bringen, zu bรผndeln und Spannungen abzubauen. Was spricht deutlicher von diesem Bemรผhen, als der Brief der Kirchgemeinde an den damaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, in dem dieser bei seiner Verantwortung fรผr den Frieden in Deutschland und Europa beim Wort genommen werden sollte? Der Frieden stand in jenen Monaten durchaus auf dem Spiel, in der spannungsreichen Phase des NATO-Doppelbeschlusses, in dem die USA eine neue Rรผstungsspirale ankurbelte und die Sowjetunion ein gleiches tat. Dass der Brief im โ€žNeuen Deutschlandโ€œ abgedruckt wurde, zweifellos in agitatorisch- vereinnahmender Absicht, war von der kleinen Gruppe nicht vorauszusehen. Aber so stand auch er plรถtzlich zwischen den Stรผhlen. Und es gab Amtskollegen, die eine derartige Aktion als รคuรŸerst fragwรผrdig empfanden, die meinten, dass mit dem DDR-Staat so nicht zu reden sei.

Eine besondere Eigenart war in den Gottesdiensten zu beobachten: Seine Predigten hielt er frei. Damit war eine Originalitรคt und Spontaneitรคt verbunden, die von den Hรถrern wohl schnell in ihrem Wert erkannt wurden. Ohne jeden Notizzettel, nur in der Konzentration auf das am Sonnabend- Abend geistig- theologisch Meditierte und Vorgedachte. Das erfordert eine hohe geistige Anspannung. Und freilich ist dann auch die Gefahr groรŸ, durch eine plรถtzlich auftretende Unruhe oder Bewegung unter den Hรถrern irritiert, aus seinen Gedanken gerissen zu werden und dann wieder nach einem neuen Anschluss suchen zu mรผssen.

SchlieรŸlich ist auch des Oleanderwรคldchens zu gedenken, das im Sommer den Eingang der Kirche flankiert. Seit jeher liebte er mediterrane Gewรคchse, Blumen und Strรคucher, (ausnahmsweise sei an dieser Stelle auch der Wein dazu gezรคhlt, in beiderlei Gestalt, als Pflanze und Labsal). So fanden Kamelien, Azaleen, Myrthen, Hortensien, Feigen und Zitronenbรคumchen im Hof des Pfarrhauses eine Heimstatt, wurden aufwรคndig und liebevoll gepflegt

Pfarrer Dietmar Selunka ist in den dreiรŸig Jahren viele Wege gegangen, er hat dabei tiefe Spuren hinterlassen in der Kirchgemeinde und am Elbhang. Er hat sich dabei nicht geschont und seine ganze Kraft dabei eingesetzt.
Aber โ€žalles hat seine Zeitโ€œ.

Bei der nรคchsten Ausgabe des Pfarrerverzeichnisses wird vielleicht schon ein anderer Name bei der Kirchgemeinde Loschwitz stehen und Pfarrer Dietmar Selunka dann auf den gelbgetรถnten Seiten im Anhang vermerkt sein, unter โ€žPersonen im Ruhestandโ€œ.

Mรถge er dort, wo er seinen Wohnort wรคhlen wird, Zeit finden fรผr alles, was er in den schรถnen und anstrengenden Jahren als Gemeindepfarrer in Loschwitz hintangestellt und aufgeschoben hat: zum Lesen, zum Klavierspielen, fรผr FuรŸwanderungen โ€“ vielleicht sogar nach Rom, was immer schon sein Wunschtraum war โ€“ und fรผr die Arbeit im eigenen Garten, denn all die Pflanzen, die bisher in Kรผbeln und Tรถpfen im Pfarrhof standen, werden, mitgenommen in sein neues Domizil, seiner sorgsamen Pflege sicher sein dรผrfen.

Johannes Woldt