Puppenspiel bringt Gunst!

Teil 1 โ€“ Marionettenspieler entdecken den Elbhang

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Der Elbhang ist bekanntlich seit mehr als 200 Jahren ein Domizil der verschiedensten Kรผnstler. Ob Sรคnger, Musiker, Schauspieler, Bildhauer, Maler, Schriftsteller, Architekten oder Fotografen, sie alle fรผhlten sich wohl und fanden hier am Hang einen Platz fรผr ihr kreatives Wirken.

Zu ihnen gesellten sich auch Puppenspieler. Ja einer, ein anonym gebliebener Hรคndler von so genannten โ€žKasperpuppenโ€œ, sorgte sogar dafรผr, dass der Kunst am Hang entsprechende Gunst entgegengebracht wurde. 1857 hatte er seine Bude auf dem Dorfplatz nahe dem Ziehbrunnen aufgeschlagen und die Kinder eilten samt ihrer Haushunde zu ihm, um den quicklebendigen Kasper auf seiner Hand zu bestaunenโ€ฆ Nun, dieser Zusammenhang ist etwas รผberspitzt, denn gemeint ist der Fierant auf einem Holzschnitt, den Ludwig Richter 1857 schuf. Richter wohnte in diesem Jahr im Kotzsch-Haus. Aber fรผr den Holzschnitt nutzte erย  das leider nicht als Vorlage.ย  Doch die Tatsache, dass er dieses Sujet fรผr die Illustration des Wortspiels โ€žKunst bringt Gunstโ€œ wรคhlte, zeugt von der Beliebtheit des Handpuppenspiels im 19. Jahrhundert. Ludwig Richter kannte sicherlich das Spยญiel des Holzpritschen-Kaspers von verschiedenen Mรคrkten. Wahrscheinlich erlebte er auch Pulchinella-Spieler bei seinem Italienaufenthalt in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts.

Lassen wir diesen bekannten Holzschnitt als Ausgangspunkt fรผr eine Betrachtung des Puppenspiels am Elbhang stehen, denn fragt man heute Puppenspieler รผber ihre Erlebnisse am Hang, insbesondere beim Elbhangfest, dann beginnen alle zu schwรคrmen von der Gunst, die ihnen die Festgรคste alljรคhrlich entgegenbringen.

Die Bewohner des Schรถnfelder Hochlandes brachten bereits 1851 im Saal des Gasthofes Eschdorf der Witwe Magnus und ihrem Marionettentheater ihre Gunst entgegen. Die Witwe Magnus zรคhlte zu den beliebtesten Prinzipalinnen Sachsens. Ihr Schauerdrama โ€žKunibert von Eulenhorst โ€“ oder โ€“ Der geschundene Raubritterโ€œ zog Scharen von Zuschauern in ihr Theater. Sicherlich wird sie auf dem Weg nach Dresden, wo sie in den spรคteren Jahren mehrfach auf der Vogelwiese gastierte, auch in Bรผhlau oder Loschwitz Station gemacht haben.

โ€žKunst bringt Gunstโ€œ, Holzschnitt von Ludwig Richter, 1857. Reproduktion: Archiv Bernstengel
โ€žKunst bringt Gunstโ€œ, Holzschnitt von Ludwig Richter, 1857.
Reproduktion: Archiv Bernstengel

Sie war keineswegs die einzige, die mit einem Marionettentheater im Dresdner Umland gastierte. Zu dieser Zeit dรผrften es bereits einige Dutzend Bรผhnen gewesen sein, die um die Gunst des Publikums buhlten. Wilhelm von Kรผgelgen schreibt in seinen 1870 postum erschienenen โ€žJugenderinnerungen eines alten Mannesโ€œ, dass ihn ein Marionettenspieler in seiner Dresdner Kindheit so sehr begeisยญterte, dass er zu Hause versuchte, das Geschehen um den Kindermord Herodes mit Papierfiguren nachzuspielen. Wenn er schreibt: โ€žIch fing an, mich in eigenen Ideen zu ergehen, und nun erst gewann die Sache rechten Reiz fรผr mich. Ich wurde ein berรผhmter Puppenspieler unter meinesgleichen, und da ich alles selber machen musste, Text, Malereien und Auffรผhrung, so hatte ich immerhin auch einen Nutzen von diesen Spielereien.โ€œ, dann hat ihn dieses Erlebnis derart bewegt, dass er seine Gedanken und Konstruktionen ganz sicherlich auch mit hinaus in den vรคterlichen Sommersitz nach Loschwitz genommen hat. Spรคter, nach 1830, gab es gedruckte Theaterbilderbรถgen mit Figuren, Kulissen und Dekorationen รผberall zu kaufen. Das Papiertheater des Biedermeier war geboren und hielt Einzug in viele bรผrgerliche Familien. Es verband ein engagiertes, laienhaft aufgefรผhrtes Spiel mit einer kreativen szenischen Gestaltung und den Mรถglichkeiten der Hausmusik. In den Villen des Elbhanges, aber vor allem auch in den linkselbischen herrschaftlichen Wohnungen dรผrfte dieses kleine Theaterspiel ein beliebter Programmpunkt bei Gesellschaftsabenden gewesen sein.

Pulchinella-Spiel, Kupferstich von Bartolomeo Pinelli, 1830. Reproduktion: Archiv Bernstengel
Pulchinella-Spiel, Kupferstich von Bartolomeo Pinelli, 1830.
Reproduktion: Archiv Bernstengel

Zurรผck zum Marionettentheater. Das frรผheste Marionettengastspiel am Elbhang kann heute erst fรผr das Jahr 1862 nachgewiesen werden. In diesem Jahr kam Carl August Lippold mit seinem Theater und seiner Frau Johanne Wilhelmine Listner von Gittersee รผber UnterweiรŸig nach Oberloschwitz, um 27 Tage im โ€žWeiรŸen Adlerโ€œ zu logieren und dort mehrere Vorstellungen zu geben. Dabei war auch seine dreijรคhrige Tochter Anna. Sie heiratete 16 Jahre spรคter โ€“ 1878 โ€“ den Theatergehilfen Carl Ernst Ritscher. Beide begrรผndeten damit die erste Puppenspielergeneration mit Namen โ€žRitscherโ€œ. Die Lippolds kamen ein Jahr spรคter nach Wachwitz und Loschwitz. 1865 und 1870ย  gastierten sie fรผr 19 beziehungsweise 16 Vorstellungen in Loschwitz.

Das Theater der Witwe Magnus kรผndigt die Vorstellung โ€žDer Geschundene Raubritterโ€œ an, Titelblatt der Zeitschrift โ€žKikerikiโ€œ, 1869.  Reproduktion: Archiv Bernstengel
Das Theater der Witwe Magnus kรผndigt die Vorstellung โ€žDer Geschundene Raubritterโ€œ an, Titelblatt der Zeitschrift โ€žKikerikiโ€œ, 1869.
Reproduktion: Archiv Bernstengel

Im November 1890, kurz nach dem Tod ihres Mannes Eduard, gastierte die Witwe Ruttloff in Wachwitz. Die Ruttloffs bereisten mit ihrem โ€žMechanischen Theaterโ€œ vorrangig das Elbtal. In Wachwitz wird sie bereits mit ihrem Bruder August Clauss aufgetreten sein, denn ohne einen mรคnnlichen Spieler war es nicht mรถglich, die Auffรผhrungen zu bestreiten. August Clauss half seiner Schwester aber nur kurze Zeit. Bereits im Februar 1891 ging er wieder seine eigenen Wege und Emilie wurde von ihrem jรผngeren Bruder Wilhelm unterstรผtzt.

Sรคle wie der des โ€žGasthofes WeiรŸigโ€œ, des โ€žRatskellersโ€œ oder des โ€žWeiรŸen Adlersโ€œ beziehungsweise der โ€žEuleโ€œ waren geeignet fรผr Auftritte von Marionettenspielern. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden auch andere Theater dort gespielt haben.

Kasper aus โ€žApelโ€™s Dresdner Marionettentheaterโ€œ, Kopf von Heinrich Rau, vor 1903 Foto: Archiv Bernstengel
Kasper aus โ€žApelโ€™s Dresdner Marionettentheaterโ€œ, Kopf von
Heinrich Rau, vor 1903
Foto: Archiv Bernstengel

โ€žApels Dresdner Marionettentheaterโ€œ und die Ritter von Loschwitz

Ausgangs des 19. Jahrhunderts beginnt die ร„ra der Familie Apel in Dresden und der Umgebung zu wirken. Amalie Apel mit Tochter und Schwiegersohn, aber auch Sohn Heinrich sind so dominant in ihrem Spiel und Geschรคftssinn, dass faktisch kein anderer Marionettenspieler bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Dresden und Umgebung รผber lรคngere Zeit FuรŸ fassen kann.

Amalie Apel spielte zwischen 1905 und 1909 โ€“ so sagen es die Geschรคftsbรผcher aus, die in der Puppentheatersammlung Dresden aufbewahrt werden โ€“ in Loschwitz in der โ€žEuleโ€œ, der โ€žSchweizereiโ€œ und im โ€žDemnitzโ€œ, in Bรผhlau im โ€žRatskellerโ€œ und im โ€žJohannisbadโ€œ Wachwitz.

In der โ€žEuleโ€œ tritt das Theater vom 27. Juli bis zum 29. August 1905 auf. Gespielt wird Dienstag, Donnerstag, Sonnabend und Sonntag. Am Sonntagnachmittag hebt sich der Vorhang fรผr die Mรคrchenspiele โ€žHรคnsel und Gretelโ€œ, โ€žKรถnig Drosselbartโ€œ, โ€žDie drei Haulemรคnnchenโ€œ und โ€žRรผbezahlโ€œ. Das Abendprogramm umfasst โ€žMedeaโ€œ, โ€žGenovefaโ€œ und โ€žDr. Faustโ€œ nach Schauspielen, die aus den alten Volksbรผchern entwickelt wurden. Wesentlich beliebter waren allerdings so genannte Volksstรผcke wie zum Beispiel โ€žEr ist Baronโ€œ (nach Theodor Buhler), โ€žDer Dorftrottel โ€“ oder โ€“ Der Brand in der Bergschรคnkeโ€œ, โ€žDer Lumpenbaron โ€“ oder โ€“ Wir Sachsen sind helleโ€œ โ€žToni โ€“ das kรผhne Negermรคdchenโ€œ (nach Theodor Kรถrner!) und โ€žBlanka, das Findelkindโ€œ (nach der beliebten Operette โ€žDer Irrwischโ€œ von Bretzner). Amalie Apel nahm an den 20 Spielabenden in der โ€žEuleโ€œ immerhin 500 Mark ein. Das bedeutet bei einem durchschnittlichen Eintrittspreis von 30 Pfennigen fรผr Erwachsene, dass im Durchschnitt 83 Zuschauer die Vorstellung besuchten. Das wiederum ist ein Ergebnis, das aufgrund der geringen Bevรถlkerungsdichte und des relativ kleinen Saales durchaus positiv bewertet werden muss. Die hรถchste Einnahme, d. h. 38 Mark, erzielte das Theater am 19. August 1905 mit โ€žKarasek, der Rรคuberhauptmann in der Oberlausitzโ€œ, ein Stรผck, das nach 1900 in Ostsachsen sehr beliebt wurde, aber nie den Erfolg des โ€žKarl Stรผlpners, Sohn der Wรคlderโ€œ โ€“ das Erzgebirgspendant ยญโ€“ erreichte.

Es fรคllt auf, dass die Apels in diesem Zeitraum nur einmal die โ€žRitter von Loschwitz โ€“ oder โ€“ Die Entstehung der Mordgrundbrรผcke bei Dresdenโ€œ am Elbhang auffรผhrten, nรคmlich am 16. August 1906 im โ€žRatskellerโ€œ Bรผhlau. Der Erfolg war fรผr eine Vorstellung an einem Abend in der Woche mit 20,โ€“ M durchaus akzeptabel. Dennoch verblรผfft die Tatsache, dass dieses Lokalstรผck am Elbhang faktisch nicht gespielt wurde, wo es doch von Carl Engel, einem Puppenspielforscher und Kapellmeister, 1889 eigens fรผr Apelโ€™s Marionettentheater verfasst worden war. Erstellt man eine Hitยญliste der erfolgreichsten Stรผcke im gesamten Apelschen Spielgebiet dieser Zeit, so rangieren die โ€žRitter von Loschwitzโ€œ auf Rang 3. Sie beinhalten eigentlich alles, was ein publikumswirksames Heimatstรผck leisten muss: Orts-, Flur- und Adelsยญnamen sind konkret benannt. Neben den Loschwitzer Rittern Hans von Clomen und Benno von Birken treten Ritter Kunibert von Wehlen und Uda, der Burgherr von Wachwitz, auf.

Szene aus โ€žDie Ritter von Loschwitzโ€œ, Apelโ€™s Marionettentheater. aus: DNN vom 25.10.1932
Szene aus โ€žDie Ritter von Loschwitzโ€œ, Apelโ€™s Marionettentheater.
aus: DNN vom 25. 10. 1932

Die Handlung ist nicht genau datiert, aber im 13. Jahrhundert anzusiedeln. Benno von Birken liebt die blonde Tochter Elsbeth seines Nachbarn Hans von Clomen. Das wรคre nichts Besonderes, wollte sie der bรถhmische Schurke Ladislaus nicht entfรผhren, um Ritter von Clomen zu erpressen. Dieser hatte, um seinen Kreuzzug gegen die Sarazenen zu finanzieren, seine Gรผter an bรถhmische Adlige verpfรคndet. Ladislaus tรถtete Hugo, den Verwalter, um an die Urkunde heranzukommen. Doch vergeblich. Nun versucht er mit gefรคlschten Papieren, von Clomen seinen Besitz abzuringen. Doch wer mischt sich im rechten Moment in das Drama ein? Wer erfรคhrt von Gertrud, der Komplizin des Ladislaus, auf Burg Clomen? Wer versteckt Elsbeth und schlรผpft selbst in Frauenkleider, um sich an ihrer statt entfรผhren zu lassen? Natรผrlich der Kasper, Diener des Ritters von Birken! Ladislaus erkennt die Tรคuschung und Benno von Birken zwingt ihn zum Schwertkampf. Doch bevor die beiden so richtig loslegen, ermordet Ladislaus erst einmal den Knappen Kurt, der sich als erster in den Weg stellt. Daraufhin Kasper: โ€žO, Ladislaus, du Lausaffe, schon wieder ein Mord im Grund; das ist ja der reinste Mordgrund!โ€œ Und Benno erschlรคgt an gleicher Stelle den Ladislaus! Jetzt ist der Weg frei zu seiner geliebten Elsbeth. Hoch droben รผber dem Mordgrund wird die Hochzeit gefeiertโ€ฆ So endet glรผcklich dieses romantische Ritterschauspiel in sechs Akten und der Grund hat endlich seinen volkstรผmlichen Namen erhalten!

Einige Jahre spรคter spielt Heinrich Apel d. J. โ€žDie Erstรผrmung der Burg Helfenberg bei Pillnitzโ€œ, ebenfalls ein Ritterschauspiel, das aber an den Erfolg der โ€žLoschwitzer Ritterโ€œ nicht anknรผpfen konnte. Heinrich Apel d. J. hatte kurz entschlossen das Stรผck โ€žDie Erstรผrmung der Burg Greifenstein โ€“ oderย  โ€“ Die Entstehung des Dorfes Einsiedel bei Chemnitzโ€œ genommen, es geringfรผgig verรคndert und mit einem auf den Elbhang bezogenen Titel versehen. Dieses Vorgehen war typisch fรผr die Apels, aber auch fรผr andere Marionettenspieler: Man passte die Repertoire-Stรผcke gern dem Auftrittsort an!

Im April 1907 reisen die Apels von Kaitz kommend nach Schรถnfeld, machen nur drei Tage in WeiรŸig halt, um dann in Wachau, Wallroda, Langebrรผck und Radeberg zu gastieren. Nach Radeberg zieht es Amalie Apel immer wieder, hatte dort doch das Fischerโ€™sche Marionettentheater, bei dem sie Gehilfin war, immer guten Erfolg und sie lernte in Radeberg 1869 ihren Mann Albert kennen. Von Radeberg reisen sie am 14. August 1907 zum โ€žRatskellerโ€œ nach Bรผhlau, wo sie 30 Vorstellungen geben, die allerdings nicht die Einnahmen von 1905 erbrachten. Diesmal sind es die Kindervorstellungen, die am erfolgreichsten sind. In den folgenden Jahren wird dieser Trend noch stรคrker werden. In den groรŸen Stรคdten und ihrem Umfeld muss man mehr und mehr fรผr Kinder spielen, um auf seine Einnahmen zu kommen. Kinomatographen-Anstalten, Tanz- und Unterhaltungsabende werden zu einer ernsthaften Konkurrenz, der die Marionettenspieler nur schwer etwas entgegenzustellen haben.

Aber grundsรคtzlich erweist der Elbhang auch in den folgenden drei Jahrzehnten dem Apelโ€™schen Theater weiter seine Gunst.

Kasperspiel am Heiderand

Die 20er und 30er Jahre gehรถren auch den Jahrmarktkasperspielern in den Dresdner Ausflugslokalen. Dazu zรคhlen die โ€žSaloppeโ€œ und das โ€žVolkswohl am Heideยญrandโ€œ. Aus der โ€žSaloppeโ€œ wissen wir nur, dass auch Kasperspieler aufgetreten sind. Vom โ€žVolkswohl am Heiderandโ€œ ist รผberliefert, dass dort am Wochenende William Korb gastierte. Er hatte seine Kasperbude hinter einem groรŸen, zwischen Bรคumen gespannten Vorhang aufgebaut und spielte fรผr die Jรผngsten, wรคhrend die โ€žร„lterenโ€œ sich bei Kaffee und Kuchen amรผsierten. รœbrigens konnte manย  ins โ€žVolkswohlโ€œ seine Speisen mitbringen, sogar auch den Kaffee. Lediglich das heiรŸe Wasser war zu bezahlen.

Bei William Korb wuchs Hans Vogel auf, der vom Handpuppenspiel derart begeistert wurde, dass er bis in die 1980er Jahre selbst eine Bรผhne mit seiner Ehefrau Elfriede fรผhrte. Allerdings hatte er seinen Wohnsitz in Halle. Oft war er in Dresden zu Gast. Dann logierten die Vogels auch im โ€žParkhotel WeiรŸer Hirschโ€œ.

Jochen Weber-Unger mit seinem Kasper, 1947. Foto: Archiv Weber-Unger
Jochen Weber-Unger mit seinem Kasper, 1947.
Foto: Archiv Weber-Unger

Oswald Hempel und seine Verehrer

Der Elbhang erwies auch dem vielleicht originellsten Dresdner Puppenspieler seine Gunst, nรคmlich Oswald Hempel, dem โ€žHeimatschutzkasperโ€œ. Hempels Kasper war im Kurlรคnder Palais fรผr zwei Generationen von Dresdner Kindern der Kasper schlechthin. Er gastierte aber auch auรŸerhalb des Palais; zum Beispiel Anfang der 1930er Jahre im โ€žWeiรŸen Adlerโ€œ Oberloschwitz. In der 1938 erschienenen Broschรผre โ€žMan muss die Menschen froh machenโ€œ โ€“ รผbrigens das Spielmotto Hempels โ€“ heiรŸt es in einer Anekdote: โ€žUnd wer sitzt am nรคchsten Tag unter all dem erwartungsvollen Kindervolk im WeiรŸen Adler? Die kleine Maria mit ihrer Mutti. Ich (Oswald Hempel) entdecke sie sofort und als ich ihnen die Hand entgeยญgenstrecke, staunen sie nicht schlechtโ€ฆ Aber da braust ein Sturm durch die vierhundert Kinder im Saale. Sie springen auf die Stรผhle, winken und jubeln, daรŸ der kleinen Marie Angst und Bange wirdโ€ฆ Und schon geht (das Spiel) los.โ€œ

Die Gunst bringen ihm aber nicht nur das Oberloschwitzer Kinderpublikum entgegen, sondern auch zwei junge Mรคnner, die sich an seinem Spielstil orientieren. Der eine ist Jochen Weber-Unger und der andere Helmut Walter.

Jochen Weber-Unger wuchs in Wachwitz auf. 1942 wurde er Leiter des โ€žDresdner Bannkaspersโ€œ, einer Handpuppenspielgruppe der โ€žHitler-Jugendโ€œ. Sie trat vorrangig auf Heimatabenden in Lazaretten auf bzw. gab Kindervorstellungen in kriegsbedrohten Gebieten. Aufgefรผhrt wurden รผberwiegend bekannte Mรคrchen. Nach dem Krieg begann Jochen Weber-Unger ganz im Stil des Heimatschutzkaspers zu spielen. Sein โ€žBรผhnenhausโ€œ war dem von Oswald Hempel nachempfunden. Im Dezember 1945 erรถffnete er sein Theater als โ€žSachsen-Kasperโ€œ im Saal des Loschwitzer โ€žRatskellersโ€œ. Bis 1948/49 trat er dort regelmรครŸig u. a. mit seinen Mรคrchenspielen โ€žKรถnig Drosselbartโ€œ, โ€žDer gestiefelte Katerโ€œ, โ€žHรคnยญsel und Gretelโ€œ und โ€žDornrรถschenโ€œ auf. Zum Repertoire gehรถrten ebenยญso die Puppenspielklassiker โ€žDie Mondlaterneโ€œ fรผr Kinder und โ€žDr. Faustโ€œ fรผr Erwachsene. Jochen Weber-Ungers Herz galt aber auch dem Schauspiel und so nahm er 1949 ein Engagement am Theater Greifswald an, dem eines in Gรถrlitz folgte. 1953 รผbersiedelte er in die Bundesrepublik, wo er ein anerkannter Dramaturg wurde. Das Puppenspiel lieรŸ ihn gedanklich bis zu seinem Tod 2001 nicht los. In seinen letzten Jahren begann er seine Erinnerungen an den Heimatschutzkasper Oswald Hempel aufzuschreiben. Leider vollendete er das Manuskript nicht. Jochen Weber-Unger zรคhlt zu jenen Dresdner Puppenspielern, die gleich nach dem Krieg aufbrachen, um wieder Lachen in die Gesichter der Kinder zu zaubern, die aber an den neuen restriktiven Strukturen zerbrachen. (Heute wohnen seine Frau und die Familie seiner Tochter wieder in Dresden-Blasewitz und sein kรผnstlerischer Nachlass befindet sich in der Dresdner Puppentheatersammlung.)

Auch Helmut Walter, der als letzter Loschwitzer Elbschiffer im Elbhang-Kurier 3/97 gewรผrdigt wurde, begann Ende 1945 โ€“ aus der Kriegsgefangenschaft zurรผckgekehrt โ€“ mit Puppenspiel seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Im oben genannten Elbhang-Kurier erinnert er sich: โ€žWir haben Oswald Hempel mit seinem Heimatschutzkasper nachgespielt. Mit zwรถlf Jahren hatte ich die Ehre, ihm zu helfen. Ich durfte blitzen und mit dem Schlagzeug donnern und die Puppen raufยญgebenโ€ฆ Im eiskalten Albertinum haben wir gesessen und das Kaschieren von Puppen gelernt. Carl Schrรถder war unser Lehrer. Vor Weihยญnachten 1945 sind wir das erste Mal auf Wanderschaft gegangen. Wir haben 10 โ€“ 15, manchmal sogar 20 Veranstaltungen gemacht. Eintritt 10 Pfennige.โ€œ โ€žTeddys Erdenfahrtโ€œ, โ€žDer Wunderschlittenโ€œ oder das lustige Tierstรผck โ€žHoppel und Poppelโ€œ gehรถrten zu seinem Repertoire. Helmut Walter blieb jedoch nicht beim Puppenspiel, 1950 erwarb er sein Patent als Schiffsfรผhrer. Aber sein Kasper, der unverkennbar aus der Schule Carl Schrรถders stammt, blieb ein Arbeitsleben lang an seiner Seite auf all seinen Elbschiffen.

Kasper malt die Hausbesitzerin Dromedara zu โ€žKasper als Malerโ€œ, Handzeichnung von Otto Griebel, nach 1920. Repro: Archiv Bernstengel
Kasper malt die Hausbesitzerin Dromedara zu โ€žKasper als Malerโ€œ, Handzeichnung von Otto Griebel, nach 1920.
Repro: Archiv Bernstengel

Otto Griebel und das Puppenspiel

Der Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 zerstรถrte auch die Wohnung und das Atelier des Malers und Grafikers Otto Griebel. Zerstรถrt wurde dabei auch das so genannte โ€žRote Kรถfferchenโ€œ, in dem sich seine Handpuppen befanden, mit denen er immer einmal wieder in kabarettistischen Szenen die politischen und sozialen Probleme der 1920er und 1930er Jahre aufs Korn nahm. Die Puppen, wie zum Beispiel den Schieber, den Intellektuellen, den Proleten, die Filmdiva, die Hausbesitzerin, aber auch Kasper, Seppel und den Polizisten hatte Griebel entworfen und die Kรถpfe wurden von dem Holzbildhauer Kurt Hauswald geschnitzt. Eine neue Wohnung fand Otto Griebel mit seiner Familie nach 1945 in Loschwitz.

Die verbrannten Figuren, die er auch innerhalb der Asso benutzt hatte, lieรŸen ihn nicht los. Unter seiner Anleitung wurden sie noch einmal geschaffen. Heute befinden sie sich und ein Theater, das er 1924 mit dem Musiker Otto Kunze fรผr eine Schweizer Familie fertigte, in der Puppentheatersammlung Dresden.

Bรผhne des โ€žSachsen-Kaspersโ€œ, 1946. Foto: Archiv Weber-Unger
Bรผhne des โ€žSachsen-Kaspersโ€œ, 1946.
Foto: Archiv Weber-Unger

Verurteilung im Park-Hotel

Das Jahr 1952 kennt ein Ereignis, dass nicht von Gunst, sondern von Missgunst gegenรผber dem Puppenspiel kรผndet. Das damalige Geschehen kann hier aber nur kurz angerissen werden, da umfangreiche Recherchen zu dem Themenkreis โ€žLizenzierung im Puppentheater der DDRโ€œ noch ausstehen.

Das โ€žPark-Hotelโ€œ auf dem WeiรŸen Hirsch war vom 10. โ€“ 26. September Austragungsort einer Schulung fรผr Puppenspieler, insbesondere Marionettenspieler. In den Erzรคhlungen der Marionettenspieler wurde sie nur der โ€žberรผhmt-berรผchtigte Drei-Wochen-Lehrgang vom WeiรŸen Hirschโ€œ genannt. Was war geschehen? Im Mรคrz 1951 fand eine Tagung des Zk der Sed statt, die sich mit der Kunst und Literatur in der Ddr beschรคftigte und zu der Auffassung kam, beide seien hinter der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zurรผckgeblieben. Es gelte nun, einen Kampf gegen den โ€žFormalismusโ€œ und fรผr den โ€žsoziaยญlisยญtischen Realismusโ€œ zu fรผhren. Insbesondere die Kleinkunst stand auf dem Prรผfstand. Ihr wurde Kitsch und die Befriedigung niedrigster Bedรผrfnisse vorgeworfen. Fรผr die Puppenspieler bedeutete das eine รœberprรผfung ihres Repertoires und ihrer Spielweise. Die Staatliche Kommission fรผr Kunstangelegenheiten lieรŸ die Puppenspieler wissen โ€žโ€ฆ daรŸ allen Bรผhnen, die nach dem 15. Juli 1951 in ihrem Spielplan Stรผcke enthalten haben, die seichten oder kitschigen Inhaltes sind, und den Forderungen einer fortschrittlichen demokratischen deutschen Kultur nicht entsprechen, mit einer Neulizenzierung nicht mehr rechnen kรถnnen.โ€œ Die neuen Anforderungen wurden vorerst nicht nรคher benannt. Die Studienwochen im โ€žPark-Hotelโ€œ sollten die ideologische Ausrichtung bringen. Im Mittelpunktย  standen Veranstaltungen zum Finden neuer Stรผckideen, zum Umgang mit der Sprache und zur Auseinandersetzung mit dem โ€žFormalismusโ€œ. Als Beispiel fรผr eine neue kรผnstlerische Arbeit wurden die Theaterkonzeptionen der staatlichen Puppentheater in Chemnitz und Zwickau benannt. Die Verantwortlichen versuchten, den traditionellen Marionettenspielern etwas aufzudrรผcken, dass รผberhaupt nicht das Ihre war und sein konnte. Kulturpolitiker, wie Rolf Eichler von der sรคchsischen Landesregierung oder Lotte Genthe vom spรคteren Ministerium fรผr Kultur, stellten Forderungen, ohne die Genesis und historische Entwicklung dieser Theaterkunst zu kennen. Die absurde Situation stellt sich am bes-ten im folgenden Beispiel dar: Der sechzigjรคhrige Arno Ritscher stellte sich vor: โ€žArno Ritscher. Geboren hinter der Marionettenbรผhne. Spiele, seitdem ich sprechen und laufen kann. Mรถchte das auch weiter tun, so Gott und die Regierung es will.โ€œย  Er musste wenige Tage spรคter eine Prรผfung ablegen zum Thema โ€žStalin und die Sprachgewaltโ€œ!

Der Marionettenspieler Kurt Dombrowsky erinnert sich an einen weiteren bezeichnenden Vorfall im โ€žPark-Hotelโ€œ: Heinrich Apel fragt Rolf Eichler, was er morgen fรผr die Kollegen auffรผhren soll. Eichler antwortet, es mรผsse etwas sein, das dem Thema โ€žTechnik der Marionetteโ€œ entspricht. Er soll viel Technik, viel Handwerk zeigen. Apel spielt den Einakter โ€žWie man das Gruseln lerntโ€œ und zeigt sein Marionetten-Varietรฉ. Am Nachmittag erfolgt eine Auswertung und Rolf Eichler betont, das Gesehene sei Technik gewesen, aber keine Kunst, es fehle eine klare Aussage. Das Spiel sei ein Beispiel fรผr โ€žFormalismusโ€œ. Die โ€žSรคchsischen Neuesยญten Nachrichtenโ€œ schreiben am 29. September 1952: โ€žMehrfache รœberprรผfungen haben ergeben, dass die Bรผhne Apel mit ihrer Arbeit โ€“ trotz Auffรผhrungen gegenwartsbezogener Stoffe โ€“ innerlich und รคuรŸerlich der Erstarrung verfallen ist, statt sich um ihre unerlรคssliche Weiterentwicklung und Qualifizierung zu mรผhen. Die Staatliche Kommission fรผr Kunstangelegenheiten wie der Rat des Bezirkes Dresden, Abteilung Kultur, kรถnnen nach alledem die Bรผhne, besonders in einer Kunststadt wie Dresden, nicht mehr als tragbar ansehen.โ€œ Zwei Jahre zuvor war noch in der Sรคchsische Zeitung vom 26. Oktober 1950 รผber Apels Marionettentheater zu lesen: โ€žDie Wiederbelebung alter Puppenspiele kann aus verschiedenen Grรผnden nur begrรผรŸt werdenโ€ฆ Sie kann gleichwohl eine kรผnstlerische Wirkung erreichen, wenn ein Meisยญter seines Faches, wie hier, sie handhabt.โ€œย  Heinrich Apel verlieรŸ nach dem Eichler-Urteil die Tagung vom WeiรŸen Hirsch und ging wenig spรคter fรผr einige Zeit nach West-Berlin. Zur gleichen Zeit wurde das Staatliche Puppentheater Dresden an den Landesbรผhnen Sachsen gegrรผndetโ€ฆ

Szene aus โ€žDas blaue Lichtโ€œ, โ€žDie Schattenโ€œ, 1960; Figuren von Johannes Kรผhl. Foto: Archiv Bernstengel
Szene aus โ€žDas blaue Lichtโ€œ, โ€žDie Schattenโ€œ, 1960; Figuren von Johannes Kรผhl.
Foto: Archiv Bernstengel

Zum Schatten gehรถrt Licht

In dieser Zeit beschรคftigte sich der Loschwitzer Schriftsteller Fritz Gay intensiv mit der Kunst des Schattenspiels. Er hatte bereits 1948 fรผr den Radebeuler Paul Bongers ein Schattenspiel geschrieben. In den Folgejahren setzte er sich intensiv mit der Herkunft, der Geschichte und den Techniken des Schattenspiels auseinander. 1957 grรผndete er eine eigene Bรผhne โ€žDie Schattenโ€œ und mit Hilfe solch engagierter Kรผnstler wie den Dresdner Malern Hans Neubert und Johannes Kรผhl, den Musikern und Komponisten Immanuel Lucchesi, Gottfried von Einem und Gรผnter Hรถrig schuf er Inszenierungen wie zum Beispiel die Mรคrchen โ€žDer Mann aus der Flutโ€œ, โ€žDas blaue Lichtโ€œ, โ€žSchneewittchenโ€œ, die wegweisend fรผr ein zeitgenรถssisches farbiges europรคisches Schattenspiel wurden.

Vorausgegangen waren seinen Arbeiten Studien der Farbenlehre Goethes und der Kunstauffassungen von Delacroix, Kandinsky, Klee und van Gogh. Die Auffรผhrungen โ€žDer Schattenโ€œ waren ein Insider-Typ fรผr die junge Dresdner Kunstszene. Aber sie brachten dem Oberloschwitzer auch die Gunst der auslรคndischen Puppenspielszene ein. Mit dem Tod Fritz Gays 1969 endete die Arbeit dieser Schattenspielbรผhne.