Leserpost zum Waldschlรถsschenblick

Sehr geehrte Damen und Herren, immer wieder werden im Zusammenhang mit dem Dresdner Weltkulturerbe und dem Bau der Waldschlรถsschenbrรผcke Diskussionen รผber die vorgesehenen BaumaรŸnahmen gefรผhrt. Hierbei gibt es รผber die zukรผnftige Gestaltung der Dresdner Elblandschaft die haarstrรคubendsten Ansichten, die mangels Interesse an der Kulturlandschaft den Welterbetitel gefรคhrden. Zu diesem gewachsenen Landschaftsraum gehรถren u. a. Stadt und Festung Kรถnigstein, Stadt und Festung Pirna, Schloss und Park Pillnitz, der Elbhang, die Elbschlรถsser, die Waldschlรถsschenumgebung, die Dresdner Innenstadt mit den Ministerialbauten, dem Jรคgerhof, dem Residenzschloss und den Kirchenbauten sowie das Schloss รœbigau am โ€žunteren Endeโ€ des Dresdner Elbtals. Der etwas enger gesteckte Abschnitt, den wir z. Z. noch als โ€žWeltkulturerbeโ€ bezeichnen dรผrfen, erstreckt sich wohl โ€žnurโ€ von Pillnitz bis zur Dresdner Altstadt.

Ungeachtet der unterschiedlichen Standpunkte zu den geografischen Begrenzungen des Weltkulturerbes haben alle genannten kulturellen Besonderheiten ein gemeinsames Kriterium, durch das der Ehrentitel Weltkulturerbe รผberhaupt gerechtfertigt ist: die Einmaligkeit der durch die Stadt fรผhrenden Elbwindungen, verbunden mit der ausgedehnten, weitgehend naturbelassenen Uferlandschaft, welche die einmalige Natur-, Kultur- und Stadtlandschaft Dresden hervorgebracht hat. Keiner anderen bedeutenden Stadt auf der Welt ist eine solche Verbindung zwischen Fluss, Landschaft und urbaner Bebauung gelungen. Sรคmtliche grรถรŸeren Stรคdte Europas, die an einem oder mehreren Flรผssen gelegen sind (Berlin, Budapest, Florenz, London, Paris, Prag, Rom, St. Petersburg usw.), haben ihre Bauten bis an die Ufer gefรผhrt, welche meist von hohen UferstraรŸen gesรคumt wurden. Nur in Dresden ist es weisen Kurfรผrsten und Kรถnigen und spรคter ebenso klugen und tรผchtigen Stadtrรคten gelungen, die Dresdner Elblandschaft weitestgehend zu erhalten.

Angefangen im 16. Jahrhundert unter Kurfรผrst Moritz, der Dresden zu einer Renaissancestadt erblรผhen lieรŸ, fortgefรผhrt durch „Vater August“, der Dresden zu der militรคrisch meistbefestigten europรคischen Stadt des 16. Jahrhunderts ausbaute, รผber Johann Georg I., der gewaltige Jagden, Festspiele und -musiken auf den breiten Elbwiesen auffรผhren lieรŸ, ferner รผber August den Starken, unter dem Dresden zu einem kleinen „Venedig des Nordens“ avancierte, bis hin zu den bedeutenden Entscheidungen der Regierung und der Stadtverwaltung um 1900, den einmaligen Landschaftscharakter der GroรŸstadt weiterhin zu bewahren. Selbst als um 1880 die Elbe im Zusammenhang mit der Kettenschifffahrt vorsichtig kanalisiert wurde (Uferbefestigung, Ausbau von Hafenanlagen und Pferdeschwemmen), blieb dieser einmalige Charakter erhalten!

Heute gibt es inmitten dieser Landschaft in der unmittelbaren Nรคhe des von Camillo Graf Marcolini zu Ende des 18. Jahrhunderts angelegten Waldschlรถsschens, zu dem ursprรผnglich auch ein neogotisches Haus, ein englischer Park und eine Meierei (etwas elbabwรคrts auf der heutigen Bautzner StraรŸe) gehรถrten, eine รคuรŸerst sensible Stelle: den so genannten โ€žWaldschlรถsschenblickโ€œ, womit eine Aussicht vom Waldschlรถsschen auf die Elblandschaft und die Dresdner Altstadt gemeint ist. Genau an diesem Aussichtspunkt verlieรŸen Reisende, eben noch aus dem Dunkel der Dresdner Heide kommend, die Bautzner LandstraรŸe, um von der hohen Uferbรถschung aus (etwa dort, wo der heutige Pavillon steht) den prรคchtigen Anblick Dresdens zu genieรŸen. Wer ist nicht heute noch bewegt, wenn er z.B. Ernst Rietschels Lebensbeschreibung liest, in welcher er diesen รผberwรคltigenden Eindruck wiedergibt, als er als Kind zum ersten Mal aus Pulsnitz nach Dresden kam!

Diesen historisch gewachsenen Waldschlรถsschenblick durch eine Brรผcke (ungeachtet dessen, wie โ€žschรถnโ€ sie zu werden verheiรŸt) zu zerschneiden und zu zerstรถren, hieรŸe, den sensibelsten Bereich der Dresdner Kulturlandschaft am empfindlichsten zu treffen! Wer dennoch an dieser Stelle eine Elbquerung wรผnscht, sich aber dem kulturellen Erbe verpflichtet fรผhlt, braucht sich nur fรผr die Alternative Tunnel zu entscheiden.

Rainer G. Richter