Wie ich die Villa Marie vor dem Abbrennen bewahrte

Feurige Erinnerungen an die โ€žVilla Marieโ€œ

In meinen feurigen Jahren, Mitte der 80er, es war in den Weihnachtstagen, strich ich einsam und hungrig nach Liebe durch die Stadt. Mein liebster Ort, die Gegend um den Schillerplatz und das herrliche Loschwitz, inspirierten meine Fantasie. Man hatte mir erzรคhlt, dass in einer Villa am Elbufer eine geheimnisvolle Frau wohne, um die eine Mรคr ging. Die Villa selbst, ein an den Stil der Toscana angelehnter Bau, machte einen merkwรผrdigen Eindruck mit seinen vergilbten, geblichen Wรคnden und dem schwarzen rissigen Fachwerk.โ€จโ€จIch trat ein und lauschte. Irgendwo hinter vielen Tรผren, glaubte ich Stimmen zu hรถren. Ich suchte mir einen Weg durch die mit abgelegtem Kram verstellten Rรคume. Auf einem Schild an einer Tรผr stand โ€žLesung Stefan Georgeโ€œ. Ich drรผckte die schwere Klinke, aber die Tรผr war fest verschlossen. Gern hรคtte ich zu den Leuten gehรถrt, die dort beisammen saรŸen und aus dem Werk des geheimnisvollen Dichters lasen.โ€จโ€จIch nahm den Rรผckweg und fand im Erdgeschoss einen Raum, der erleuchtet schien und klopfte mit pochenden Herzen an. Jemand rumorte und plรถtzlich stand, wie der Blitz, Wanda vor mir, schaute mich skeptisch und stirnrunzelnd an, fragte misstrauisch nach meinen Namen. Ich stellte mich hรถflich vor und ich glaubte, dass sie mich kannte, denn sie sagte, jetzt stiller und besรคnftigter: โ€žKomm rein!โ€œ โ€žWie schรถn!โ€œ freute ich mich und rieb mir die kalten Hรคnde.

Wanda ging in einen Raum nebenan und brรผhte einen Schwarztee auf, den sie geschickt servierte und mir dabei ihre Hรคuslichkeit vorstellte, die aus vielen kleinen, liebevollen Dingen bestand. Kerzen und Bilder, kleine Skulpturen, Schneckenhรคuser, Glasarbeiten, vor allem aber auch Bรผcher mit geheimnisvollen Umschlรคgen, aus einer anderen Welt.โ€จโ€จโ€žIch wollte gerade nach Loschwitz zu Freunden gehenโ€œ, sagte Wanda wie nebenbei, โ€ždu weiรŸt ja, es ist Weihnacht, aber ich bleibe hierโ€œ. Ein schรถnes Gesprรคch entspann sich รผber die Welt, bei dem die Dinge in dem groรŸen Raum plรถtzlich lebendig wurden. Ich war in meinem Element. Nun, ich war ihr als Rhetoriker bekannt, der wissensdurstige Leute durch die Dresdner Gemรคldegalerie fรผhrte, aber auch als ein ganz liederlicher Don Juan. Natรผrlich kannte ich auch die Dresdner Kunsthochschule, wo Wanda arbeitete, in der Kantine des Hochschulclubs, obwohl sie etwas Besseres verdient hรคtte. Die Zeiten waren schlimm genug und ich war kein Freund von ihnen.

Wanda war ein reizendes Geschรถpf, groรŸ und fest gebaut mit lieben Grรผbchen in den Wangen und langem dunklen Haar. Mir wurde heiรŸ und wir redeten und redeten. Wanda verlieรŸ fรผr einen Augenblick das Zimmer und ich stand auf, um die Ursache fรผr diese groรŸe Wรคrme, die sich breit zu machen begann, zu erkunden.โ€จโ€จEs roch brenzlig. Endlich fand ich die Ursache. Auf dem groรŸen Kachelofen stand eine riesige Lade, die mit allerlei Zeug vollgestopft war. Von daher kam ein Geruch nach Rauch. โ€žWanda!โ€œ, rief ich, โ€žkomm und schau, auf deinem Ofen schwelt eine Ladeโ€œ. Wanda kam und erschrak. Ich stieg auf einen Stuhl, wรคhrend Wanda hastig die Tรผr zur Waschkรผche รถffnete. Ich trug die heiรŸe schwelende Lade in den feuchten Raum, wรคhrend Wanda mit einem Schlauch das beginnende Feuer lรถschte. Das war ein Zischen und Dampfen wie in Dantes Inferno. Beinahe also wรคre die Villa Marie abgebrannt. Ich hatte es verhindert, oder besser gesagt mein Hunger nach Liebe, nach Wanda.

Heinz WeiรŸflog