Vom ehemaligen Rathaus zum heutigen Ortsamt Loschwitz (Teil 1)

Erinnerungen an die GrundstraรŸe 3 โ€“ย  vom โ€žSalz-Hausโ€œ zum Rathaus

Zehn Jahre sind vergangen, seit in Loschwitz ein neues Ortsamtsgebรคude eingeweiht werden konnte. Mit diesem ersten von zwei Beitrรคgen soll an die Geschichte des Hauses GrundstraรŸe 3 erinnert werden, das neben der GrundstraรŸe 1 und dem ehemaligen โ€žRatskellerโ€œ mit seinen Anbauten dem Neubau des Ortsamtes Loschwitz weichen musste. In einem zweiten Beitrag im nรคchsten Heft berichtet der ehemalige Ortsยญamtsleiter, Peter Rauch,ย  รผber die Zeit des Aufbaus und des Wirkens dieses Amtes bis 2001 und seiner Bedeutung heute.

Im Jahre 1994 wurden das Haus GrundstraรŸe 3 in Loschยญwitz ebenso wie der eheยญmalige โ€žRatskellerโ€œ und die Gebรคude der GrundstraรŸe 1 abgerissen. Das neue Ortsamt Loschwitz wurde errichtet. Als ehemaliger Mieter der GrundstraรŸe 3 mรถchte ich nach einigen Recherchen und mit dankbarer Unterstรผtzung von Matthias Griebelย  und Eberhard Mรผnzner an dieses fรผr Loschยญwitz durchaus historische Haus erinnern.

โ€žRatskellerโ€œ und GrundstraรŸe 1 und 3, 1962. Foto: W. Gรถtz
โ€žRatskellerโ€œ und GrundstraรŸe 1 und 3, 1962.
Foto: W. Gรถtz

Das Foto oben links zeigt etwa den Bereich des heutigen Ortsamtes. In den 60er Jahren war die โ€žHOG Ratskellerโ€œ eine gern besuchte Gaststรคtte. Links oben ist noch die Ruine des โ€žBurgbergesโ€œ zu erkennen. In der Mitte ist die โ€žร–ffentliche Toiletteโ€œ und die Haltestelle fรผr den โ€žC-Busโ€œ (GrundstraรŸe 1/3) zu sehen. Dahinter befanden sich die Seitengebรคude des Ratskellers, die 1963 als โ€žGarderobenโ€œ fรผr Karin Schrรถder und Rolf Herricht wรคhrend der Dreharbeiten fรผr den Film โ€žGeliebte WeiรŸe Mausโ€œ dienten, ehe sie immer weiter verfielen und 1988 abgerissen wurden.

Doch die Geschichte des Hauses GrundstraรŸe 3 (im linken Bild rechts) geht fast 300 Jahre zurรผck. Bereits ab 1716 ist ein Gebรคude auf diesem Grundstรผck nachweisbar. Das Bild unten zeigt ein Haus, das spรคter unter dem Namen โ€žFellerโ€œ-Haus bekannt wurde. Schon im Jahre 1805 ist die GrundstraรŸe 3 (Brand-Kataster-Nummer 102) im Besitz der Familie von Johann Gottยญfried Feller ausgewiesen und wird spรคter an den Sohn Carl Gottlob Feller vererbt.

Ortsamtsgebรคude Loschwitz, 2006/2007. Foto: W. Gรถtz
Ortsamtsgebรคude Loschwitz, 2006/2007.
Foto: W. Gรถtz

Auf diesem Foto von August Kotzsch (unten), um 1870, ist der Sohn von Carl Gottlob Feller, August Hermann Feller, ein Schneidermeister, ganz links in der Laube zu sehen. Vor der Haustรผr ist wohl seine Frau abgebildet. Deren beide Sรถhne Fritz, der spรคtere Brรผckenzolleinnehmer und Brandmeister, und daneben sein Bruder, stehen vor dem โ€žGรคrtchenโ€œ, wie es in seinem Grundriss noch bis 1994 erhalten war. Rechts befindet sich bereits der โ€žSalz-Verkaufโ€œ, der spรคter zur Produktenhandlung Feller umgebaut wurde. Davor ist Carl Gottlob Feller, der Vater des Produktenhรคndlers, zu sehen.

Die Einfassung fรผr die noch im offenen Bachbett der GrundstraรŸe flieรŸende Trille ist ebenso erkennbar wie links der โ€žUntere Burgbergโ€œ, der nach dem Umbau als โ€žRatskellerโ€œ ab 1883 der Gemeinde gehรถrte. Hier befand sich seitdem die Gemeindeverwaltung, das Standesamt und weitere Kassenstellen. Die โ€žRatssitzungenโ€œ fanden im Saal in der ersten Etage statt. An der rechten Bildkante ist bei Kotzsch noch der Giebel des Vorlรคufers der heutigen GrundstraรŸe 5 zu erkennen.

GrundstraรŸe 3, um 1870. Foto: August Kotzsch (Sammlung M. Griebel)
GrundstraรŸe 3, um 1870.
Foto: August Kotzsch (Sammlung M. Griebel)

Etwa 30 Jahre spรคter ist das alte โ€žFellerโ€œ-Haus modernisiert und als โ€žSalz-Hausโ€œ bekannt (siehe Titelยญfoto). Der Dachยญgiebel wurde vergrรถรŸert, die Fenster zur Nordseite mussten dem nun geringen Abstand zum neuen Gebรคude der GrundstraรŸe 5 (mit Milch- und Butterhandel des Ernst Kunze) weichen. Ein neuer Ladenanbau mit Balkon dient dem โ€žProduktenhandelโ€œ. Der Schneidermeister und Produktenhรคndler August Hermann Feller ist bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Bewohner der GrundstraรŸe 3ย  in der zweiten Etage ebenso nachgewiesen wie Christiane Feller, eine Putzmacherin bzw. Modistin, auf dem Titelfoto wohl eine der beiden Damen links. Die andere Dame ist mรถglicherweise die Frau des Brรผckenzoll-Einnehmers, der in Uniform zu erkennen ist. Auf dem Balkon befinden sich die Bewohner der ersten Etage, der Gemeinderegistrator und stellยญvertretende Standesbeamte Arthur RieรŸ und dessen Frau. Das Bachbett der GrundstraรŸe im vorderen Teil ist bereits geschlossen.

Seit 1903 gehรถrte die GrundstraรŸe 3 zum โ€žRathausโ€œ. In den folgenden Jahren wird amtlicherseits stets auf die Verbindung der GrundstraรŸe 3 als โ€žRathaus โ€“ zu Kรถrnerplatz 3 mit gehรถrigโ€œ hinยญgewiesen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde dem โ€žRatsยญkellerโ€œ mit dem Seitengebรคude (damals Stallungen, spรคter Garagen), dem Hof (Lager der Wasserwirtschaft) und der GrundstraรŸe 1 und 3 eine โ€žZusammengehรถrigkeitโ€œ zugeschrieben. In der GrundstraรŸe 1 befanden sich Anfang des 20. Jahrhunderts die โ€žPrรผfungsstation und Reparaturwerkstatt fรผr das Wasserwerkโ€œ, kurz die โ€žRohrmeistereiโ€œ genannt.

GrundstraรŸe 3, um 1935. Foto: unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)
GrundstraรŸe 3, um 1935.
Foto: unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)

Im Erdgeschoss der GrundstraรŸe 3 war die Steuer- und Wasserzinsยญhebestelle. Die erste Etage war der Gemeinde, dem Einwohnermeldeamt und der Brรผckenverwaltung, spรคter auch der Kirchenยญkassenยญverwaltung vorbehalten. Die Gemeindeverwaltung beinhaltet 1918 die โ€žGemeinde- , Spar-, Schul-, Armen-, Wasserwerks- und Brรผckenkassenverwaltung sowie die Gasgeldeinnahmeโ€œ. In der zweiten Etage wohnte der Polizeiwachtmeister Ernst Junghans bis 1919. Dort wird spรคter die Gemeindebauverwaltung eingerichtet und die Geschรคftsstelle des โ€žZweigยญverein Heimatdankโ€œ. Der Gemeindeยญยญsitzungssaal befand sich weiterhin im โ€žRatskellerโ€œ.

1921,ย  mit der Eingemeindung von Loschwitz nach Dresden, besitzt die GrundstraรŸe 3 โ€žDie Stadtgemeindeโ€œ. Im folgenden Jahrzehnt wohnten keine Mieter im Haus. Im Erdgeschoss befand sich das Stadtsteueramt, in der ersten Etage die Spar- und Girokasse und in der zweiten Etage die Kreisstelle des Fรผrsorgeamtes.

Endhaltestelle GrundstraรŸe 3, um 1940, vorn Roselotte Schlutter, die mit ihrer Familie damals im โ€žRatskellerโ€œ wohnte. Foto: unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)
Endhaltestelle GrundstraรŸe 3, um 1940, vorn Roselotte Schlutter, die mit ihrer Familie damals im โ€žRatskellerโ€œ wohnte.
Foto: unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)

Das Bild oben zeigt das Haus GrundstraรŸe 3 โ€“ โ€žDie Stadtgemeindeโ€œ โ€“ um 1935. Nach einem erneuten Umbau sind zwei zusรคtzยญliche Gauben im Obergeschoss zu erkennen, der Anbau mit Balkon ist verschwunden. Links hinten ist das โ€žHotel Burgbergโ€œ zu sehen, das gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Lazarett wurde, ehe es 1945 den Bomben zum Opfer fiel. Das Gebรคude der GrundstraรŸe 1 ist nรคher herangerรผckt. Die Reklame am Haus GrundstraรŸe 5 โ€žB. Bernstengel…โ€œ verweist auf Bertha, die als Produktenhรคndlerin seit Anfang des Jahrhunderts tรคtig ist. Ihr Ehemann Friedrich Julius ist Brรผckenzolleinnehmer. Die StraรŸenbahngleise fรผhren seit 1925 in die GrundstraรŸe 3 als Endhaltestellen der Linien 1 und 2.

Mitte der 30er Jahre wohnten in der zweiten Etage der Arbeiter Erhard Woog und sein Bruder Heinz Woog. Im Erdgeschoss befanden sich daยญmals die NSDAP und das Amt fรผr Volkswohlfahrt und in der ersten Etage die Nebenwache des 19. โ€žWohlยญfahrts-Polizei-Reviersโ€œ. Etwa ab 1936 befinden sich auch das Standesamt und das Stรคdtischeย  Beยญstattungsamt in der GrundstraรŸe 3. 1940 erhielt Heinz Woog einen โ€žDienstvertragโ€œ als Hausmann fรผr die GrundstraรŸe 1 und 3. Mit seiner Frau Bertha und den beiden Tรถchtern Annelies und Karin wohnte er hier bis 1969.

Erhard Woog (fiel im Zweiten Weltkrieg) 1938 vor der Eingangstรผr GrundstraรŸe 3 anlรคsslich der Hochzeit seiner Schwester (nicht im Bild) Foto: B. Woog./ unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)
Erhard Woog (fiel im Zweiten Weltkrieg) 1938 vor der Eingangstรผr GrundstraรŸe 3 anlรคsslich der Hochzeit seiner Schwester (nicht im Bild)
Foto: B. Woog./ unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)

In der Bombennacht vom 13./14. Februar 1945 wurde das Haus GrundstraรŸe 3 durch Brandbomยญben nur gering beschรคdigt, wรคhยญrend die GrundstraรŸe 1 und der Schuppentrakt im Hof vollstรคndig ausbrannten. Die Geschรคftsstelle der NSDAP, Ortsgruppe Loschยญwitz, wurde noch bis zum 8. Mai 1945 in den Saal des Gasthauses zum โ€žKameradโ€œ verlegt. Dann war der Krieg endlich vorbei.

Die zerstรถrte GrundstraรŸe 1 wurde behelfsmรครŸig wieder aufgebaut und von der Energieversorgung genutzt, ein Hochwasserschutzยญlager kam in neue Schuppen im Hof. In der GrundstraรŸe 3 gab es nun wieder โ€žWohlfahrtseinrichtungenโ€œ. Kommunale Aufgaben wurden durch das Wohnungsamt und die Volkssolidaritรคt wahrยญgenommen. In der ersten Etageย  hatte die โ€žDHZย  Haushaltchemieโ€œ Einยญzug gehalten. Hier fuhr Mitte der 50er Jahre auch oft Generalfeldmarschall a. D. Friedยญrich Paulus vor, der in Oberloschยญwitz residierte, um persรถnlich seine Bestellungen zu ordern.

Die Kinder Annelies und Karin Woog spielen um 1955 im โ€žGรคrtchenโ€œ des Hauses. Foto: B. Woog./ unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)
Die Kinder Annelies und Karin Woog spielen um 1955 im โ€žGรคrtchenโ€œ des Hauses.
Foto: B. Woog./ unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)

Um 1950/51 erfolgte der Abbruch und Neubau der GrundstraรŸe 1 zur Trafostation, รถffentlichen Toilette, Kiosk und Wartehalle fรผr den O-Bus. Die รถffentlichen Toiletten befanden sich bis dahin im Durchgang vom Ratskellergarten zur Standseilbahn. Im gemeinsamen Hof zur nunmehrigen Gaststรคtte โ€žHOG Ratskellerโ€œ wurde 1954 das Hochwasserlager erweitert und auch eine Obst- und Gemรผsesammelstelle eingerichtet. Nach Umbauten am โ€žRatskellerโ€œ befanden sich dort in den sechziger Jahren neben dem Gaststรคttenbetrieb รผber dem spรคter umgebauten Kรผchentrakt auch Wohnungen fรผr 4 Mietparteien.

Auf dem Foto der Endhaltestelle der StraรŸenbahn ist vorn Roselotte Schlutter zu erkennen, die mit ihrer Familie damals im โ€žRatskellerโ€œ wohnte. Diese Endhaltestelle der StraรŸenbahn bestand noch bis 1950. Im gemeinsamen Hof mit der GrundstraรŸe 3 befand sich auch der โ€žร–lschuppenโ€œ des โ€žRitzelkehrersโ€œ, wie die Kinder den โ€žWeichenpflegerโ€œ der StraรŸenbahn nannten… 1960 wurde die GrundstraรŸe 3 umgebaut. Auch die erste Etage wurde wieder zu einer Wohnung. Toilette und Bad wurden in der ersten und zweiten Etage eingebaut.

Die Kinder Annelies und Karin Woog spielen um 1955 im โ€žGรคrtchenโ€œ des Hauses. Foto: B. Woog./ unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)
Die Kinder Annelies und Karin Woog spielen um 1955 im โ€žGรคrtchenโ€œ des Hauses.
Foto: B. Woog./ unbekannter Fotograf (Sammlung Gรถtz)

Im Saal des โ€žRatskellerโ€œ probte der Gesangverein, Tanzstunden und Abschlussfeiern fanden hier statt. In der GrundstraรŸe 3 zog โ€žDie Stadtgemeindeโ€œ ein. Die SVK-Rentenzahlstelle und Schiedskommission, Jugendweihe-, Konsum-, Wohnbezirks- und Wahlausschuss hatten im Laufe der Zeit hier ebenso ihr Domizil wie die Versicherung und die Wohnbezirksparteiorganisation der SED, die bis zum Jahre 1989 hier tagte. Ab 1974 begann der Niedergang und damit der Verfall der โ€žHOG Ratskellerโ€œ. Auf der ehemaligen Terrasse wurde ein Kiosk eingerichtet, der 1976/77 abbrannte. Ein Wasserrohrbruch in derย  Gaststรคtte brachte ein Jahr spรคter das endgรผltige โ€žAusโ€œ. Die Problematik derย  fast stรคndig geยญschlossenen โ€žร–ffentlichen Toiletteโ€œ im Zusammenhang mit dem dann wieder geรถffneten Kiosk amย  โ€žRatskellerโ€œ und damit die Belรคstigungen insbesondere fรผr die Anwohner, soll hier nur erwรคhnt werden. 1988 wurde dann auch der ehemalige Sitzungssaal und โ€žBallsaalโ€œ im โ€žRatskellerโ€œ als Matratzenlager endgรผltig verwรผstet.

Im gleichen Jahr gab es den Versuch, den Ratskeller-Komplex als Initiativbaustelle der โ€žPGH Handยญwerker Dresden-Ostโ€œ als Wissenยญschaftlich-Technisches Zentrum mit Gaststรคttenbetrieb zu rekonstruieren. Realisiert wurde davon allerdings nur die รคuรŸere Gebรคudehรผlle des โ€žBrรคustรผblโ€œ.

Wolfgangย  Gรถtz

Der Autor wohnte mit seiner Frau Annelies und den beiden Sรถhnen Torsten und Olaf von 1969 bis 1994 in der zweiten Etage der GrundstraรŸe 3.